Fruchtbarkeit - 1
zu sehen, ob Blaise noch atmete. Aber er wagte es nicht. In dem Gemach trat tiefe Stille ein. Ach, welcher Schmerz, welche Folterqual, als Denis mit Mathieu und Marianne im Wagen saß, um sie zu seinem Bruder zu bringen! Er hatte zuerst nur von einem Unfall, von einem schweren Sturz gesprochen. Aber als der Wagen seinem Ziele näher kam, war seine Verzweiflung zum Ausbruch gekommen, und weinend hatte er auf ihre entsetzten Fragen alles gesagt. Und als sie endlich die Fabrik erreichten, da zweifelten sie nicht mehr, ihr Kind war tot. Die Arbeit war eingestellt worden, und sie erinnerten sich ihres Besuches am Tage nach dem Tode Maurices. Sie traten in dieselbe Reglosigkeit, in dieselbe Grabesstille ein. Das ganze sausende Leben war mit einem Schlage zum Stillstande gekommen, die Maschinen waren kalt und stumm, die Werkstätten finster und leer. Keine Seele, kein Laut, kein Zischen des Dampfes, der der Atem dieses Hauses war. Der Chef war tot, so war auch das Haus tot. Ihr Entsetzen stieg, als sie inmitten dieser vollkommenen Verlassenheit aus der Fabrik ins Wohnhaus kamen; die Galerie war verödet, die Treppe hallte, alle Türen waren oben offen, als betrete man eine seit langem verlassene unbenutzte Wohnung, Im Vorzimmer fanden sie keinen Bedienten. Wieder durchlebten sie dasselbe Drama des plötzlichen Todes, aber diesmal war es ihr Sohn, den sie in demselben Zimmer, auf demselben Bette fanden, kalt, bleich und leblos.
Blaise war im Veratmen. Boutan stand am Bette und hielt die regungslose Hand, in der sich der letzte schwache Pulsschlag verlor. Und als er Mathieu und Marianne eintreten sah, die instinktiv den Salon mit den verschobenen Möbeln durcheilt hatten, in dieses Zimmer gestürzt waren, dessen Todesluft sie wiedererkannten, da konnte er nur, die Augen voll schwerer Tränen, murmeln: »Meine armen Freunde, küssen Sie ihn. Sie werden noch ein wenig von seinem letzten Atemzug erhaschen.« Der schwache Atem war im Begriff zu verfliegen, und die arme Mutter und der arme Vater hatten sich schluchzend, laut jammernd, über ihn geworfen und küßten diese Lippen, die eben noch vom letzten Lebensschauer erbebten. Ihr Blaise war tot. Wie Rose, nur ein kurzes Jahr später, war er plötzlich hingerafft worden, an einem festlichen Tage. Die kaum verharschte Wunde ihres Herzens war in schrecklicher Weise wieder aufgerissen. In ihrem langen Glücke war dies die zweite furchtbare Mahnung an das menschliche Elend, der zweite Axthieb, der auf das blühende Wachstum ihrer gesunden und glücklichen Familie niederfiel. Und mit steigendem Entsetzen fragten sie sich: hatten sie also ihre aufgehäufte Schuld an das Unglück noch nicht genug bezahlt? Würden sie nun, Schlag auf Schlag, allmählich der Vernichtung anheimfallen? Schon als ihre Rose, unter Blumen im ewigen Schlafe dagelegen hatte, war die Furcht an sie herangeschlichen, daß die Fruchtbarkeit und das Gedeihen abbrechen und verdorren könnten, nun die Bresche einmal geöffnet war. Und durch diese blutige Bresche wurde ihnen nun auch ihr Blaise in schrecklicher Weise entführt, zerschmettert von dem eifersüchtigen Zorne des Schicksals. Und morgen würde vielleicht ein andres ihrer Kinder von ihren Herzen gerissen werden, um auch seinerseits den Preis für ihr Glück und ihre Schönheit zu bezahlen!
Lange schluchzten Mathieu und Marianne, am Bette kniend. Constance hielt sich in einiger Entfernung, stumm, wie in bebender Trostlosigkeit. Beauchêne hatte sich, wie um die Furcht vor dem Tode zu besiegen, die ihn schüttelte, an den ehemaligen Schreibtisch Maurices gesetzt, der als pietätvolles Andenken im Salon stehen geblieben war, und versuchte eine Kundmachung an die Arbeiter zu entwerfen, worin ihnen mitgeteilt werden sollte, daß die Fabrik bis zum Tage nach dem Leichenbegängnisse geschlossen bleiben würde. Er bemühte sich vergeblich die Worte zu finden, als er Denis bemerkte, der aus dem Zimmer herauskam, nachdem er alle seine Tränen geweint und seine Seele in einen letzten Kuß gelegt hatte, den er auf seines Bruders Stirn drückte. Er rief ihn, schien ihn zerstreuen zu wollen, indem er sich von ihm helfen ließ.
»Setze dich daher, und fahre fort.«
Und Constance, die auch hereinkam, hörte diese Worte. Es waren die Worte, die ihr Mann damals gesprochen hatte, als er Blaise sich an diesen selben Schreibtisch Maurices setzen ließ, an jenem Tage, da er ihm den Platz ihres armen Kindes eingeräumt hatte, dessen Körper noch im Nebenzimmer auf dem Bette
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