Fruchtbarkeit - 1
beiden stand das Los bevor, gleichfalls erschöpft zu endigen, während ihre Kinder, ihrerseits, ohne es zu wissen, die verwünschte Rasse der Verhungernden fortsetzten. Bei Euphrasie hatte das unvermeidliche Schicksal eine noch traurigere Gestalt angenommen. Die beklagenswerte Operierte hatte nicht das große Glück gehabt zu sterben. Zu nichts zusammengeschrumpft, seitdem sie nicht mehr Weib war, war sie allmählich unbeweglich an ihr Bett gefesselt, unfähig, ein Glied zu rühren, dennoch aber lebend, hörend, sehend, verstehend. Und aus diesem offenen Grabe hatte sie Monate hindurch dem Verfall dessen zugesehen, was von ihrem Haushalt noch übriggeblieben war. Sie war ein Ding geworden, das ihr Mann beschimpfte, das Madame Joseph, die nunmehr Herrin geworden, quälte, indem sie sie tagelang ohne Wasser ließ und ihr die Brocken zuwarf wie einem kranken Tier, dessen Stroh man nicht einmal wechselt. Und dabei hätte sie sich um ihrer selbst willen noch beschieden, denn sie war eingeschüchtert und gedemütigt durch ihre Nutzlosigkeit. Aber das Schlimmste war, daß die Kinder, die beiden Mädchen und der Knabe, sich selbst überlassen, verwahrlosten und dem Laster anheimfielen. Bénard, entkräftet, betäubt durch das Unglück seines Hauses, hatte sich mit Madame Joseph dem Trunke ergeben. Dann prügelten sie sich, zerschlugen alles, jagten die Kinder hinaus, die beschmutzt, zerfetzt, die Taschen voll gestohlener Dinge, zurückkehrten. Zweimal verschwand Bénard auf acht Tage. Das dritte Mal kam er nicht wieder. Als der Mietzins fällig war, ging Madame Joseph ihrerseits fort, von einem andern Mann mitgenommen. Das war das Ende. Euphrasie mußte sich ins Spital La Salpêtrière bringen lassen, während die Kinder obdachlos auf die Straße gestoßen waren. Der Knabe kam nicht wieder zum Vorschein, wie weggefegt, von irgendeiner Kloake verschlungen. Die eine der Schwestern, auf der Straße aufgelesen, starb im folgenden Winter im Spital. Die andre, Toinette, ein mageres Mädchen, scharf und bissig in ihrer Schwächlichkeit, blond, mit Raubtierzähnen und augen, lebte unter den Brücken, in den Gräben der Stadtwälle, barg sich in allen schmutzigen Schlupfwinkeln, Prostituierte mit zehn Jahren, gealtert mit sechzehn Jahren in einem Leben des Lasters und des Diebstahls. Das war der Fall Alfreds verschärft, das ganz sich selbst überlassene, von der Straße verderbte, dem Verbrechen anheimgefallene Mädchen. Und Onkel und Nichte, die sich getroffen hatten, lebten gemeinschaftlich, ohne daß man eigentlich wußte, wo sie schliefen, vielleicht in der Gegend von Les Moulineaux, wo sich Gipsbrennereien befanden.
Eines Tages geschah es also, daß Alexandre, der zu Norine ging, dort mit Alfred zusammentraf, der manchmal herkam, um zu sehen, ob er dem Vater Moineaud nicht ein Zehnsousstück entlocken könne. Die beiden jungen Halunken gingen miteinander fort, sprachen miteinander, fanden sich. Daraus entstand nun eine ganze Verbrüderung. Alexandre lebte mit Richard beisammen, Alfred führte ihnen Toinette zu. So waren sie nun vier, und es geschah, daß die magere Toinette sich in Richard verliebte, der ein Riese war, und dem Alfred sie als guter Kamerad überließ. Seither wurde sie jeden Abend von ihrem neuen Herrn geohrfeigt, wenn sie ihm nicht fünf Franken brachte. Aber sie fand das ganz in Ordnung, sie, die um eines Nasenstübers willen einem das Gesicht zerkratzt hätte wie eine wütende Katze. Und es spielte sich die gewöhnliche Geschichte ab: zuerst das Betteln, das noch junge Mädchen von den drei Vagabunden gezwungen, um Almosen zu bitten, während sie sich im Hintergrunde hielten, in dunkeln Straßen verspäteten Passanten eine Gabe durch Furcht abnötigten; dann die Prostitution, das erwachsene Mädchen, das die Männer hinter die Bretterzäune führte, sie den Freunden überlieferte, wenn sie nicht zahlten; dann der Diebstahl, der kleine Diebstahl zuerst, das Forttragen von allerlei Dingen, die in den offenen Schaukästen liegen, dann größere Unternehmungen, vorbedachte und wohlvorbereitete Raubzüge. Die Bande schlief, wo sie konnte, manchmal in zweideutigen Unterkunftsorten, manchmal auf leeren Bauplätzen. Während der Sommerszeit streiften sie durch die Wälder der Bannmeile, die Nacht erwartend, die Paris ihrer Plünderung überlieferte. Sie trafen sich in den Markthallen, im Gewühl der Boulevards, in Spelunken, auf menschenleeren Avenuen, überall, wo sie Beute witterten, die Möglichkeit, den
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