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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Üppigen das Brot wegzustehlen, den Genuß der Lüsternen zu brandschatzen. Sie waren ein Stamm Wilder, die frei, außerhalb der Gesetze, inmitten der Zivilisation lebten, ein Rudel Raubtiere, die den heimatlichen Wald durchstreiften, die menschliche Bestie, zum unkultivierten Zustande zurückgekehrt, seit der Geburt sich selbst überlassen, wieder von den Urinstinkten des Mordens und Raubens beherrscht. Und gleich dem Unkraut wuchsen sie kräftig, jeden Tag kühner werdend, einen größeren Tribut von den dummen Leuten, die arbeiteten, fordernd, ihren Raub vermehrend, auf dem Wege zum Meuchelmord.
    Als Folge einer Minute des Genusses war der menschliche Same aufgegangen, das Kind wie zufällig zum Vorschein gekommen, ohne daß man daran dachte, und war dann auf die Straße freigelassen worden, ohne Bewachung, ohne Unterstützung. Da fiel es nun der Fäulnis anheim und bildete ein furchtbares Ferment der gesellschaftlichen Zersetzung. Alle diese aufs Pflaster gesetzten Kinder, gleich zu zahlreichen Katzenjungen, die man ins Wasser wirft, alle diese Verlassenen, diese Vagabunden der Straße, die bettelten, sich prostituierten, stahlen, bildeten den Düngerhaufen, auf dem das Verbrechen sich entwickelte. In dem unheimlichen Düster der Pariser Unterschichten unterhielt diese Jugend des Elends dergestalt einen Herd entsetzlicher Ansteckung. Aus diesem so achtlos auf die Straße geworfenen Samen erwuchs eine Ernte des Räubertums, die fürchterliche Ernte des Bösen, unter deren Empordrängen die ganze Gesellschaft in den Fugen krachte.
    Als Norine von dem Treiben der Bande eine Ahnung bekam, durch die Prahlereien Alexandres und Alfreds, die sich darin gefielen, sie in Erstaunen zu setzen, wurde sie so von Furcht ergriffen, daß sie einen Riegel an der Tür anbringen ließ. Sobald die Nacht gekommen war, öffnete sie niemand mehr, der sich nicht vorher genannt hatte. Seit zwei Jahren dauerte nun schon ihre Folter, daß sie fortwährend in zitternder Erwartung eines möglichen Besuches Alexandres leben mußte. Er war nun zwanzig Jahre alt, sprach in gebieterischem Tone zu ihr, bedrohte sie mit furchtbarer Rache, wenn er mit leeren Händen fortgehen mußte. Eines Tages warf er sich, ohne daß Cécile ihn hindern konnte, auf den Schrank und bemächtigte sich eines Bündels Wäsche, Taschentücher, Servietten, Tischtücher, um sie zu verkaufen. Und die Schwestern wagten nicht, ihn auf die Treppe zu verfolgen, saßen verzweifelt, in Tränen aufgelöst, vernichtet auf ihren Stühlen.
    Der Winter war sehr streng. Die armen Arbeiterinnen, die so ausgeplündert wurden, wären samt dem Kinde, das sie trotzdem verhätschelten, vor Hunger und Kälte gestorben, ohne die Hilfe, die ihnen ihre alte Freundin, Madame Angelin, regelmäßig brachte. Sie war noch immer Inspektorin der Armenverwaltung, sie überwachte noch immer die Mütter gewordenen Mädchen in diesem schrecklichen Viertel von Grenelle, in dem das Elend herrscht. Aber seit langem schon konnte sie im Namen der Verwaltung nichts mehr für Norine tun. Und wenn sie ihr gleichwohl jeden Monat ein Zwanzigfrankenstück brachte, so war ihr dies nur dadurch ermöglicht, daß wohltätige Leute ihr ihre Gaben anvertrauten, oft sehr bedeutende Beträge, im Vertrauen darauf, daß sie am besten wissen werde, wie sie sie richtig anbringen sollte in dieser schrecklichen Hölle, in der ihre Aufgabe sie leben ließ. Sie fand ihre letzte Freude, den einzigen Trost ihres trostlosen, kinderlosen Lebens darin, so den armen Müttern geben zu können, deren Kinder ihr freudig entgegenlachten, wenn sie sie, die Hände voll guter Sachen, kommen sahen.
    Eines Tages, da es draußen stürmte und regnete, verweilte Madame Angelin ein wenig länger bei Norine. Es war kaum zwei Uhr, sie begann eben ihren Rundgang und hatte ihr kleines Täschchen auf den Knien, das mit Gold und Silberstücken, die sie zu verteilen hatte, gefüllt war. Der Vater Moineaud saß ihr gegenüber bequem auf seinem Sessel und rauchte seine Pfeife; und sie befaßte sich mit ihm, erklärte ihm, daß sie ihm gern eine monatliche Unterstützung verschafft hätte.
    »Aber,« sagte sie, »wenn Sie wüßten, was die armen Leute in dieser Winterszeit leiden! Wir werden überlaufen, wir können nicht allen geben. Sie gehören noch zu den Glücklichen. Ich komme zu solchen, die auf dem Boden liegen wie die Hunde, ohne ein Stückchen Kohle zum Heizen, ohne eine Kartoffel zum Essen. Und die armen Kinder dort, mein Gott! Zusammengedrängt,

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