Fruchtbarkeit - 1
Sie, er soll nicht wiederkommen! Finden Sie ein Mittel, hindern Sie ihn, wiederzukommen! Es ist mir zu schrecklich. wenn ich ihn sehen muß!«
Natürlich konnte Mathieu hierin nichts tun. Und nach reiflicher Überlegung fand er, daß alle seine Bemühungen sich darauf richten müßten, daß Alexandre Beauchêne nicht entdeckte. Was er von dem Jungen erfahren hatte, war so gemein, so furchtbar abstoßend, daß er auch Constance den Skandal einer solchen Erpressung ersparen wollte. Er sah sie erbleichen vor der Abscheulichkeit dieses Kindes, das sie in der Perversität ihrer getäuschten Liebe so leidenschaftlich gewünscht, gesucht hatte; er fühlte ihre Scham mit, er erachtete es für nötig und barmherzig, das Geheimnis in Grabesschweigen zu hüllen. Aber das geschah nicht ohne schweren Kampf, denn er fand es auch hart, den Unseligen auf dem Pflaster zu lassen. War eine Rettung noch möglich? Er glaubte nicht daran. Und dann, wer wollte, wer konnte eine Kur durch die Arbeit bis zur vollständigen Heilung ausführen? Ein Mensch mehr über Bord, im Sturm, und sein Herz blutete, daß er ihn verdammen sollte, obschon er zweifelte, daß es noch ein Rettungsmittel gäbe.
»Mein Rat ist,« sagte er zu Norine, »daß Sie ihm vorderhand den Namen seines Vaters verschweigen. Später werden wir sehen. Heute würde ich Unannehmlichkeiten für alle Welt fürchten.«
Sie stimmte lebhaft zu. »O nein, fürchten Sie nichts. Ich habe ihm schon gesagt, daß sein Vater tot sei. Das würde die ganze Geschichte wieder aufrühren, und ich habe doch nur den Wunsch, daß man mich hier in meinem Winkel in Ruhe lasse, mit meinem Kinde.«
Mathieu dachte mit kummervoller Miene noch immer nach, konnte sich nicht dazu entschließen, den Unglücklichen sich selbst zu überlassen.
»Ich könnte ihm wohl Arbeit finden, wenn er arbeiten wollte. Später würde ich ihn sogar auf den Hof nehmen, wenn ich nicht mehr fürchten müßte, daß er mir meine Leute verdirbt… Ich werde einmal sehen, ich kenne einen Wagner, der ihn ohne Zweifel beschäftigen könnte, und ich werde Ihnen den Bescheid schreiben, damit Sie ihm sagen können, wo er sich vorstellen soll, wenn er wieder hierherkommt.«
»Wie, wenn er wiederkommt?« rief sie verzweifelt. »Sie glauben also, daß er wiederkommen wird? O mein Gott, mein Gott, ich werde keine glückliche Stunde mehr haben!«
Er kam tatsächlich wieder. Aber als sie ihm die Adresse des Wagners gab, zuckte er höhnisch lachend die Achseln. Die Wagner in Paris, die kannte er, Ausbeuter, Nichtstuer, die die armen Leute für sich arbeiten ließen. Im übrigen habe er seine Lehrzeit nicht beendet, er sei nur zu Besorgungen zu verwenden, und er möchte einen Platz in einem großen Geschäftshause. Mathieu verschaffte ihm diesen, aber er blieb kaum vierzehn Tage dort und verschwand eines Abends mit den Paketen, die er zu besorgen hatte. Der Reihe nach trat er bei einem Bäcker ein, leistete Handlangerdienste bei Maurern, war in den Markthallen beschäftigt, ohne je irgendwo auszuharren, überall ein böses Andenken hinterlassend. Die Geduld seines Beschützers war erschöpft, er gab die Rettung auf. Man mußte sich begnügen, ihm, wenn er zerlumpt, abgezehrt, verhungert wieder auftauchte, Geld für Brot und einen Rock zu geben.
Norine lebte nun in einer fortwährenden tödlichen Unruhe. Wochenlang schien es, als ob Alexandre tot sei. Aber sie erbebte deshalb nicht minder, wenn sie das leiseste Geräusch auf der Treppe hörte. Sie fühlte immer seine Anwesenheit, und wenn er plötzlich anklopfte, erkannte sie seine Art und fing zu zittern an, als ob er sie schlagen wollte. Er hatte bald bemerkt, welch niederdrückende Wirkung er auf die arme Frau ausübte, und er nützte das aus, um ihr alles zu erpressen, was sie in ihren Laden verbarg. Wenn sie ihm das Fünffrankenstück gegeben hatte, das Almosen, das Mathieu ihm diskret durch sie zukommen ließ, war er damit nicht zufrieden und wollte selber nachsuchen. Manchmal kam er verstört herein, erzählte ihr, daß er heute noch eingesperrt würde, wenn er nicht zehn Franken hätte, drohte alles zu zerschlagen, die kleine Uhr fortzutragen, um sie zu verkaufen. Cécile mußte eingreifen, mußte ihn hinauswerfen, so zart und schwächlich sie auch war. Er ging nur, um wenige Tage später mit neuen Ansprüchen wiederzukommen, mit Drohungen, daß er seine Geschichte auf der Treppe ausschreien werde, wenn er nicht die zehn Franken bekomme. Eines Tages, als seine Mutter weinte und
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