Fruchtbarkeit - 1
sagte, sie habe keinen Sou, wollte er die Matratzen auftrennen, indem er sagte, daß sie dort ihr Geld verstecke. Die arme Häuslichkeit der beiden Schwestern wurde zur Hölle.
Aber das größte Unglück war, daß Alexandre bei Norine die Bekanntschaft Alfreds, ihres jüngsten Bruders, machte. Dieser war damals zwanzig Jahre alt, um zwei Jahre älter als sein Zufallsneffe, wie er Alexandre bei ihrer ersten Begegnung scherzhaft nannte. Es gab keinen schlimmeren Halunken als diese Gossenpflanze, dieses Pariser Kehrichtgewächs, diesen herumstreichenden Vagabunden mit dem fahlen Gesichte, bartlosen Wangen, zwinkernden, wimperlosen Augen und verzogenem Munde. Mit sieben Jahren schon hatte er seine Schwestern geschlagen, hatte er am Samstag Céciles schwachen Händen ihren Lohn entrissen. Die Mutter Moineaud, von der Last ihrer Arbeit erdrückt, hatte es nie vermocht, ihn zum Schulbesuch anzuhalten, oder ihn dazu zu bringen, in einer Lehre zu bleiben, und er brachte sie so zur Verzweiflung, daß sie ihn selbst auf die Straße schickte, um Ruhe zu haben. Die großen Brüder versetzten ihm Ohrfeigen, der Vater war vom Morgen bis zum Abend in der Arbeit, und der sich selbst überlassene Knabe wuchs auf der Straße zum Laster und zum Verbrechen auf, inmitten einer Schar von Jungen und Mädchen seines Alters, die zusammen verdarben, wie vom Baume gefallene unreife Aepfel. So war er in Entartung groß geworden, er war der geopferte Überschuß der armen Familie, das in die Gosse geschüttete Zuviel, die faule Frucht, die die andern ansteckte.
Gleich Alexandre lebte er übrigens nur vom Zufall, man wußte nicht einmal mehr, wo er schlief, seitdem die Mutter Moineaud ins Spital gegangen war, um dort zu sterben, erschöpft von zu vielen Geburten im Elend und unter der erdrückenden Last ihrer häuslichen Arbeit. Sie war erst sechzig Jahre alt und ging gebückt und gebrochen wie eine Hundertjährige. Ihr um zwei Jahre älterer Mann, der Vater Moineaud, hilflos gleich ihr, die Beine von Gicht verkrümmt, eine jammervolle Ruine fünfzigjähriger ungerechter Arbeit, war vor kurzem gezwungen gewesen, die Fabrik zu verlassen; und so war das Haus nun verödet, die ärmlichen paar Habseligkeiten in alle Winde zerstreut. Der Alte erhielt glücklicherweise eine kleine Gnadenpension, die er der mitleidigen Initiative Denis’ verdankte. Aber er verfiel wieder in Kindlichkeit, stumpfsinnig geworden durch seine lange Tretmühlenarbeit; er vertrank seine wenigen Sous, er konnte nicht alleinbleiben, da seine Füße unbrauchbar waren und seine Hände so zitterten, daß er beinahe das Zimmer in Brand setzte, wenn er seine Pfeife anzündete; so daß er endlich bei seinen Töchtern Norine und Cécile für den Rest seines Lebens Zuflucht suchte, den einzigen der Familie, die gutherzig genug gewesen waren, ihn aufzunehmen. Sie hatten ihm ein Zimmer oberhalb des ihrigen im fünften Stock gemietet, pflegten ihn und verwendeten seine kleine Pension auf seinen Unterhalt und seine Nahrung, indem sie viel von dem Ihrigen hinzufügten. Daraus folgte, wie sie mit heiterem Mute sagten, daß sie nun zwei Kinder hatten, den ganz Kleinen und den ganz Alten, eine schwere Last für zwei Frauen, die vier Franken täglich verdienten, indem sie vom Morgen bis zum Abend Schachteln klebten. Und so fügte es die leise Ironie der Geschehnisse, daß der Vater Moineaud keine andre Zuflucht fand als bei Norine, der Tochter, die er einst aus seinem Hause gejagt, wegen ihrer schlechten Aufführung verwünscht hatte, dieser Nichtsnutzigen, dieser liederlichen Dirne, die ihn entehrt hatte, und deren Hände er jetzt küßte, wenn sie ihm die Pfeife anzündete, damit er sich nicht die Nase verbrenne.
Das alte mürbe Nest der Moineaud war also zerstört, die ganze Familie verstreut, zerstoben, wohin sie der Zufall verschlug. Nur Irma lebte glücklich, dank ihrer Heirat mit einem Beamten, spielte die Dame und war so fein geworden, daß sie weder mit ihren Brüdern noch mit ihren Schwestern verkehrte. Victor setzte in der Fabrik das Leben seines Vaters fort, drehte die Mühle, die sein Vater gedreht hatte, mit derselben stumpfen und beharrlichen Mühe. Er war verheiratet, er hatte mit weniger als sechsunddreißig Jahren schon sechs Kinder, drei Knaben und drei Mädchen, bereitete seiner Frau das Schicksal seiner Mutter, der Moineaude, Nächte leichtsinniger Lust nach Tagen ohne Brot, aufeinanderfolgende Entbindungen, die die harte Arbeit ihres Haushaltes noch härter machten; und
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