Fruchtbarkeit - 1
Morange atmete allerdings noch einige Sekunden, Alexandre lag mit eingeschlagenem Schädel und verspritztem Gehirn auf derselben Stelle, wo Blaise damals gelegen hatte.
Mit entsetztem Staunen fand man die beiden Leichen, ohne sich die Katastrophe erklären zu können. Morange nahm das Geheimnis mit sich, was seinen Wahnsinn zu dem furchtbaren Gericht getrieben, das er vollzogen hatte. Vielleicht wollte er nur Constance bestrafen, vielleicht das alte Unrecht gutmachen, Denis, der einst in seinem Bruder betroffen worden, nun in seinem Kinde Hortense entschädigen, die glücklich mit ihrer so schönen und braven Puppe Margot leben würde. Indem er das Werkzeug des Verbrechens vernichtete, vernichtete er die Möglichkeit eines neuen Verbrechens. Er selbst, im Banne seiner fixen Idee stehend, hatte sich zweifellos nicht Rechenschaft gegeben über diese jenseits der Vernunft stehende gewaltsame Gerechtigkeit, die mit der fühllosen Grausamkeit eines Wirbelwindes hinfuhr, die Menschen abmähend. Er hatte nicht nachgedacht, er hatte gehandelt. Aber in der Fabrik waren alle darüber einig, daß er verrückt gewesen sein müsse, daß er das Unglück herbeigeführt habe, denn man konnte sich anders nicht erklären, wieso alle Lampen verlöscht sein konnten, wieso die Tür des Geländers weit offen stand, und wieso er mitsamt dem armen jungen Mann, der ihm folgte, in die Oeffnung stürzen konnte, deren Vorhandensein ihm wohlbekannt war. Seine Verrücktheit unterlag übrigens bald keinem Zweifel mehr, als seine Hausmeisterin von seinem seltsamen Gebaren in den letzten Tagen erzählte, und besonders, als ein Polizeikommissär seine Wohnung untersuchte. Er war offenbar vollkommen toll gewesen. Vorerst fand man die Wohnung in einem unglaublichen Zustande, die Küche glich einem Stalle, der Salon war ganz vernachlässigt, die Möbel im Stile Ludwig XIV. dicht bestaubt, das Speisezimmer in heillosem Durcheinander, die Alteichenmöbel vor dem Fenster aufgetürmt, man wußte nicht warum, so daß das Zimmer finster war. Nur das Zimmer Reines sah menschlich aus, hier herrschte die Sauberkeit eines wohlbetreuten Heiligtums, die Pitchpinemöbel glänzten, so daß man sah, daß sie alle Tage abgewischt worden waren. Aber wo der Wahnsinn unwiderleglich zum Vorschein kam, das war im Schlafzimmer, das zum Erinnerungsmuseum umgestaltet worden war, dessen Wände von den Photographien seiner Frau und seiner Tochter bedeckt waren. Gegenüber dem Fenster, oberhalb eines Tischchens, verschwand die Mauer vollständig; hier befand sich jene Art Kapelle, die er einst Mathieu gezeigt hatte: in der Mitte die Bilder Valéries und Reines, im selben Alter von zwanzig Jahren, gleich Zwillingsschwestern, umgeben von einer unglaublichen Menge symmetrisch angeordneter andrer Bilder, wieder von Valérie, wieder von Reine, als Kinder, junge Mädchen, Erwachsene, in allen Stellungen, in allen Kleidern. Und hier auf dem Tische, wie auf einem Opferaltar, fand man mehr als hunderttausend Franken, in Gold, Silber, selbst in Kupfer, einen ganzen Berg, das Vermögen, das er seit so vielen Jahren ansammelte, indem er nichts aß als altbackenes Brot, gleich einem Bettler. Nun wußte man endlich, was er mit seinen Ersparnissen gemacht hatte; er hatte sie seinen beiden Frauen gegeben, die sein Wille, sein Ehrgeiz, seine Leidenschaft geblieben waren. Von Gewissensbissen gefoltert, sie getötet zu haben, indem er sie reich machen wollte, bewahrte er ihnen dieses Geld auf, das sie so heiß gewünscht hatten, das sie so begierig verbraucht hätten. Er verdiente es nur noch für sie, brachte es ihnen, überhäufte sie damit, ohne für sich den geringsten Nutzen daraus zu ziehen, nur seinem von qualvollen Visionen beherrschten Kultus lebend, nur von dem Verlangen erfüllt, ihre Geister zu versöhnen und zu erfreuen. Und das ganze Viertel sprach von nichts anderm als von dem alten verrückten Herrn, der sich hatte Hungers sterben lassen, neben einem großen Schatze, den er Sou um Sou auf einem Tische aufgehäuft, seit zwanzig Jahren den Bildern seiner Frau und seiner Tochter dargebracht hatte wie einen Blumenstrauß.
Als Mathieu gegen sechs Uhr in die Fabrik kam, geriet er mitten in die Verwirrung und das Entsetzen im Gefolge der Katastrophe. Seit dem Morgen hatte der Brief Moranges ihn in Angst versetzt, so überrascht und beunruhigt war er über diese rätselhafte Geschichte, daß Alexandre wiedergefunden, von Constance aufgenommen, durch sie in die Fabrik eingeführt worden
Weitere Kostenlose Bücher