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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sei; und obgleich der Brief eine sehr deutliche Sprache führte, enthielt er doch seltsam zusammenhanglose Stellen, plötzliche unverständliche Sprünge, die ihm das Herz nur um so mehr bedrückten. Er hatte den Brief dreimal gelesen, und jedesmal waren neue und düsterere Vermutungen in ihm entstanden, so sehr schien er ihm erfüllt von ungewissen Drohungen. Und als er zu der festgesetzten Zeit eintraf, sah er zwei blutende Körper vor sich, die Victor Moineaud eben heraufgeholt und Seite an Seite gelegt hatte. Wortlos und erstarrt hörte er seinem Sohne Denis zu, der unter dem Todesschrecken, der die Maschinen zum Stillstande gebracht hatte, herbeigeeilt war, und der ihm nun verstört von dem unbegreiflichen Unglück erzählte, von den zwei Opfern, die aufeinander hinuntergestürzt waren, der alte schwachsinnige Buchhalter und der wie vom Himmel gefallene junge Mann, den niemand kannte. Mathieu hatte Alexandre sogleich erkannt, und wenn er, entsetzt und bleich, stillschwieg, so war es deshalb, weil er niemand, auch nicht seinem Sohne, die Vermutungen anzuvertrauen wagte, die entsetzlichen Vermutungen, die ihm aus all dem Finsteren, Rätselhaften aufstiegen. Er hörte mit steigender Seelenangst das wenige, was man hatte feststellen können, daß die Lampen der Galerie verlöscht worden waren, daß die Gittertür offen gefunden wurde, die sonst immer geschlossen war, und die nur ein Eingeweihter öffnen konnte, indem er den durch eine geheime Feder festgehaltenen Knopf drehte. Und als Victor Moineaud ihm sagte, daß der Alte sicher zuerst gefallen sein müsse, da ein Bein des Jungen quer über seinem Leibe gelegen sei, da fühlte er sich plötzlich um vierzehn Jahre zurückversetzt, er erinnerte sich des Vaters Moineaud, er sah, wie der Vater Blaise an dieser selben Stelle aufhob, an welcher der Sohn eben Morange und Alexandre aufgehoben hatte. Blaise! Eine neue Helle durchfuhr ihn, ein entsetzlicher Verdacht blendete ihn, in der furchtbaren Finsternis, in der sein Argwohn sich langsam vorwärts tastete; und indem er Denis die Anordnungen hier unten überließ, ging er zu Constance hinauf.
    Aber oben, ehe er in den Verbindungsgang einbog, hielt er abermals an und blieb bei dem Aufzug stehen. Hier war es, wo Morange vor vierzehn Jahren, als er die Oeffnung unbedeckt fand, hinabgestiegen war, um nachzusehen, während Constance behauptete, ruhig in ihre Zimmer zurückgekehrt zu sein, im Augenblicke, da Blaise, durch die dunkle Galerie herankommend, in den Schacht hinabstürzte. Und diese Erzählung, welche schließlich alle gläubig hingenommen hatten – nun fühlte er plötzlich ihre Lügenhaftigkeit, er erinnerte sich der Blicke, der Worte, des wiederholten Schweigens, er wurde mit einem Male von der Gewißheit erfaßt, die sich aus allem zusammensetzte, was er damals nicht begriffen hatte, und was in diesem Augenblicke eine furchtbare Bedeutung für ihn annahm. Ja, es war gewiß, obgleich das alles in den Nebeln der geheimen, der feigen Verbrechen schwebte, in welchen immer ein Schatten grauenhaften Geheimnisses bleibt. Und überdies gab das auch die Erklärung dieser Tat von heute, dieser beiden Leichen da unten, soweit eine vernunftgemäße Erklärung möglich war für die Tat eines Wahnsinnigen mit all dem Sprunghaften und Rätselhaften, das sie enthielt. Gleichwohl zwang er sich, zu zweifeln, er wollte vorerst Constance sehen.
    Constance war inmitten ihres kleinen Salons unbeweglich, wachsbleich stehen geblieben. Das Warten von vor vierzehn Jahren fing wieder an, verlängerte sich, legte sich ihr so beklemmend aufs Herz, daß sie nicht zu atmen wagte, um besser zu hören. Nichts war noch aus der Fabrik heraufgekommen, kein Lärm, kein Schall von Schritten. Was ging vor? War das Gefürchtete, das Grauenhafte nicht etwa bloß ein böser Traum? Aber Morange hatte ihr höhnisch ins Gesicht gelacht, und sie hatte alles verstanden. Hatte sie nicht einen Schrei, einen Sturz gehört? Nun hörte sie auf einmal das Dröhnen der Maschinen nicht mehr, der Tod war hereingetreten, die Fabrik war erkaltet, für sie verloren. Plötzlich hörte ihr Herz zu schlagen auf, als sie den Schall ferner Schritte vernahm, die sich näherten, sich beschleunigten. Dann trat Mathieu ein.
    Sie fuhr zurück, aschfahl im Gesichte, wie vor einem Gespenst. Er, großer Gott! Warum er? Wie kam er hierher? Von allen Unglücksboten war er derjenige, den sie am wenigsten erwartete. Wenn der tote Sohn gekommen wäre, so wäre sie nicht mehr erbebt,

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