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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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verdammt hätte.
    »Ich habe schon auf Sie gewartet, lieber Freund. Sie kommen spät, während Sie sonst so pünktlich sind.«
    »Ja, ich wollte vorher noch eine kleine Arbeit beendigen.«
    Aber sie hatte scherzhaft gesprochen, so glücklich fühlte sie sich. Dann ging sie sogleich zum Gegenstande über.
    »Hier ist also der Herr, dessen ich Ihnen erwähnte. Sie werden damit anfangen, ihn zu sich zu nehmen, um ihn ein wenig einzuweihen, wenn Sie ihn auch vorerst nur zu Gängen verwenden können. Es bleibt also dabei, nicht wahr?«
    »Gewiß, Madame. Ich werde mich seiner annehmen, rechnen Sie auf mich.«
    Als sie hierauf Alexandre verabschiedete, indem sie ihm sagte, daß er morgen früh eintreten könne, erbot sich Morange gefällig, ihn durch sein Bureau und durch die noch geöffneten Werkstätten zu führen.
    »Dabei lernt er die Oertlichkett kennen und kann morgen direkt zu mir kommen.« Sie lächelte wieder, so sehr beruhigte sie dieses Entgegenkommen des Buchhalters.
    »Eine gute Idee, lieber Freund, vielen Dank. Und Sie, Monsieur, auf Wiedersehen, wir werden uns Ihrer annehmen, wenn Sie sich gut aufführen.«
    Aber in diesem Augenblicke geschah etwas Außerordentliches, Unsinniges, das sie betäubte. Morange, der Alexandre als ersten hatte hinausgehen lassen, wendete sich gegen sie mit einem wahnsinnigen Grinsen, als ob der innere Bruch, plötzlich zum Vorschein gekommen, seine Züge verzerrte. Und er sagte ihr dicht ins Gesicht mit leiser, vertraulicher und höhnischer Stimme: »Haha! Blaise dort drunten im Abgrund! Er spricht, er hat zu mir gesprochen! Haha, der Luftsprung, du hast ihn wollen, den Luftsprung! Du sollst ihn wieder haben, den Luftsprung, den Luftsprung!«
    Und er verschwand hinter Alexandre. Sie hatte ihm erstarrt zugehört. Es war so unerwartet, so wahnwitzig, daß sie zuerst nicht begriff. Aber dann durchfuhr sie ein Blitzstrahl. Wovon er da sprach, von dem Morde da drunten, davon hatte er noch nie gesprochen, das war das Grauenhafte, das sie seit vierzehn Jahren tief vergraben hatten, das nur ihre Blicke sich eingestanden, und nun warf er es ihr plötzlich mit dem Grinsen des Wahnsinns ins Gesicht. Woher die dämonische Auflehnung dieses armseligen Menschen, die dunkle Drohung, die sie wie Todeshauch über sich hatte hinwehen fühlen? Sie wurde schrecklich bleich, ein dumpfes Vorgefühl einer furchtbaren Rache des Schicksals griff an ihr Herz – dieses Schicksals, das sie vor einem Augenblicke noch auf ihrer Seite geglaubt hatte. Ja, ja, so war es! Und sie befand sich mit einemmal um vierzehn Jahre zurück in diesem selben Salon, sie stand unbeweglich, schaudernd, erstarrt, auf die herüberdringenden Geräusche der Fabrik horchend, das gräßliche Getöse des Sturzes erwartend, so wie sie an jenem fernen Tage auf die Zerschmetterung des andern gewartet und gehorcht hatte.
    Morange geleitete indessen Alexandre mit seinen kleinen, vorsichtigen Schritten und sprach mit ruhiger und wohlwollender Stimme zu ihm.
    »Entschuldigen Sie mich, daß ich vorausgehe, ich muß Ihnen den Weg zeigen. Oh, das ist ein ganzes Labyrinth, dieses Haus, Treppen, Gänge, Umwege ohne Ende. Jetzt wenden wir uns wieder nach links.« Als er die Galerie erreichte, in der vollständige Finsternis herrschte, tat er sehr natürlich, als ob er sich ärgere.
    »Da hat man’s, immer dieselbe Nachlässigkeit, es ist noch nicht erleuchtet, und der Knopf ist drüben, am andern Ende! Zum Glück kenne ich hier jeden Fußbreit – wenn man einmal vierzig Jahre da ist… Geben Sie acht und folgen Sie mir dicht nach.«
    Er gab ihm jeden Schritt zum voraus an, führte ihn immer mit derselben Aufmerksamkeit, ohne daß seine Stimme ihre Gleichmäßigkeit verlor.
    »Lassen Sie mich nicht los, wenden Sie sich nach links. Jetzt geht es wieder ganz gerade. Nur, warten Sie, die Galerie ist von einem Gitter abgeschlossen, das eine Tür hat. Da sind wir. Ich öffne nun die Tür. Folgen Sie mir nur, ich gehe voraus.«
    Ruhig machte Morange den Schritt in die Finsternis, ins Leere, und ohne einen Schrei auszustoßen, stürzte er hinab. Hinter ihm fühlte Alexandre, der ihn fast berührte, um ihn nicht zu verlieren, die Leere des Abgrunds, den Windstoß des Sturzes, fühlte mit plötzlichem Entsetzen den Boden unter seinen Füßen weichen. Aber er konnte sich nicht mehr zurückhalten, er machte ebenfalls den Schritt und stürzte mit einem fürchterlichen Schrei. Beide Körper schlugen zerschmettert unten auf, beide auf der Stelle getötet.

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