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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wiederkommen wollte, um die nächste Summe zu prüfen.
    Morange schritt die Galerie entlang, in welche der von der Fabrik ins Wohnhaus führende Verbindungsgang mündete. Die ganze Fabrik war um diese Stunde erleuchtet, elektrische Lampen verbreiteten Tageshelle, während die Arbeit der Maschinen die Mauern erbeben machte. Und plötzlich, ehe er den Verbindungsgang erreichte, sah er vor sich den Aufzug, die schreckliche Oeffnung, den mörderischen Schlund, in welchem sich vor nun schon vierzehn Jahren Blaise zerschmettert hatte. Nach der Katastrophe hatte man, um einem nochmaligen Unglück vorzubeugen, die Oeffnung mit einem Geländer umgeben, das durch eine Tür verschlossen war, so daß ein Sturz nun unmöglich war, wenn man nicht etwa absichtlich die Tür öffnete. Der Aufzug war eben hinabgelassen, die Tür geschlossen, und er näherte sich, einer unwiderstehlichen Macht gehorchend, und beugte sich schaudernd über den Abgrund. Der ganze Vorgang stand ihm wieder vor Augen, er sah den zerschmetterten Körper auf dem Grunde dieser grauenhaften Leere, er fühlte sich erstarrt von demselben Hauch des Entsetzens vor dem zweifellosen, eingestandenen, verborgenen Morde. Da er so schrecklich litt, da er nicht mehr schlafen konnte, da er den beiden Toten versprochen hatte, zu ihnen zu kommen, warum machte er nicht ein Ende? Noch gestern hatte er, auf das Geländer der Brücke gelehnt, das unwiderstehliche Verlangen danach gefühlt. Ein Verlieren des Gleichgewichts, und er war befreit, endlich in den Frieden der Erde gebettet, zwischen seine beiden Frauen. Und plötzlich, als ob seinem seit zwei Tagen herumtastenden, verzweifelt suchenden Wahnsinn aus dem Abgrunde herauf die entsetzliche Lösung zugeflüstert würde, glaubte er nun eine Stimme von unten zu hören, die Stimme Blaises, die ihm zurief: »Komm mit dem andern! Komm mit dem andern!« Erbebend richtete er sich auf, die Entschlossenheit der fixen Idee hatte ihn mit Blitzesschnelle durchzuckt. Seinem Wahnwitz erschien dies die einzige kluge, logische, mathematische Lösung, die alles erledigte. Sie schien ihm so einfach, daß er erstaunt darüber war, sie so lange gesucht zu haben. Und von diesem Augenblicke ab bewies der arme, schwache und weiche Mensch, der zerrüttete Geist, einen eisernen Willen, einen großartigen Heldenmut, die von der klarsten Gedankenfolge und der schlauesten List unterstützt wurden.
    Vorerst bereitete er alles vor, stellte den Aufzug fest, damit er nicht während seiner Abwesenheit heraufgehoben werde, und überzeugte sich, daß die Tür des Geländers leicht öffnete und schloß. Er ging mit leichtem, fast körperlosem Schritt hin und her, von der Zweifellosigkeit beflügelt, mit wachsamem Auge um sich blickend, damit ihn niemand sehe noch höre. Dann verlöschte er die drei elektrischen Lampen und versenkte die Galerie in absolute Finsternis. Von unten durch die gähnende Oeffnung stieg noch immer das Dröhnen der arbeitenden Fabrik, das Sausen der Maschinen herauf. Und erst dann, nachdem er so alles vorbereitet hatte, betrat er den Verbindungsgang, um sich endlich in den kleinen Salon zu begeben. Constance erwartete ihn hier mit Alexandre. Sie hatte diesen eine halbe Stunde früher kommen lassen, sie wollte ihn einem kleinen Verhör unterziehen, ohne ihn jedoch vorerst etwas von der Stellung ahnen zu lassen, die sie ihm im Hause zugedacht hatte. Da sie es für unnötig hielt, sich ohne weiteres in seine Gewalt zu begeben, hatte sie einfach nur getan, als wünschte sie ihrer Verwandten, der Baronin de Lowicz, gefällig zu sein, indem sie ihrem Schützling einen Platz verschaffe. Aber mit welcher unterdrückten Erregung beobachtete sie ihn, voll Befriedigung, in ihm einen kräftigen und entschlossenen Menschen zu finden, mit harten Zügen und schrecklichen Augen, die einen Rächer verhießen. Sie würde ihn vollends abschleifen, er würde ganz nett werden. Er seinerseits witterte, ohne deutlich zu verstehen, die Dinge, fühlte, daß die Entscheidung über sein Glück bevorstehe, erwartete die sichere Beute, als junger Wolf, der sich herbeiläßt, zahm zu werden, um dann in aller Ruhe die ganze Schafherde verschlingen zu können. Und als Morange eintrat, sah er nur eines, die Ähnlichkeit Alexandres mit Beauchêne, diese außerordentliche Aehnlichkeit, welche eben vorhin Constances Herz durchbohrt und sie überwältigt hatte, und welche nun auch ihn, den im Banne seiner fixen Idee Stehenden, erstarren ließ, als ob er seinen alten Chef

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