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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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bereits die Wellen des Flusses ihn umrauschen, als eine junge und helle Stimme ihn anrief.
    »Was sehen Sie da unten, Monsieur Morange? Sind große Fische da?«
    Es war Hortense, schon groß für ihre zehn Jahre, ein entzückendes Kind, die von einer Zofe zu kleinen Freundinnen in Auteuil geführt wurde, um mit ihnen zu spielen. Und als der Buchhalter sich verwirrt umdrehte, stand er einen Augenblick mit zitternden Händen, die Augen voll Tränen vor dieser Erscheinung, diesem kleinen Engel, der ihn von so weit zurückrief. »Wie, du bist es, mein Herzchen? Nein, nein, es sind keine großen Fische da. Ich glaube wohl, daß sie sich auf dem Grunde verbergen, weil das Wasser im Winter zu kalt ist. Du gehst zu Besuch, wie schön du bist in diesem mit Pelz verbrämten Mantel!«
    Das Kind lachte geschmeichelt und angenehm berührt durch den zitternden Ton anbetender Liebe in der Stimme ihres alten Freundes.
    »O ja, ich freue mich sehr, wir werden dort Theater spielen, wohin ich gehe… Ach, wie schön ist es, wenn man sich freut!«
    Sie hatte das gesagt, so wie seine Reine es einst gesagt hätte, und er hätte mögen auf die Knie fallen, um ihre kleinen Hände zu küssen, wie die einer Göttin.
    »Du mußt immer nur glücklich sein, mein Kind… Du bist zu schön, ich muß dich küssen.«
    »O ja, Monsieur Morange, geben Sie mir einen Kuß. Wissen Sie, die Puppe, die Sie mir gegeben haben, die heißt Margot, und Sie können sich gar nicht denken, wie brav sie ist. Kommen Sie doch einmal und besuchen Sie sie.«
    Er küßte sie und sah ihr nach, wie sie im blassen Lichte des Wintertages sich entfernte. Sein Herz brannte, er fühlte sich zum Martyrium bereit. Nein, es wäre zu feige, das Kind mußte glücklich bleiben. Langsam verließ er die Brücke, während die Worte wiederkamen, ihm mit unabweisbarer Klarheit, Antwort heischend, in den Ohren tönten: Sollte er dieses neue Verbrechen geschehen lassen, ohne hinauszuschreien, was er wußte? Nein, nein, das war unmöglich, er würde sprechen, er würde handeln! Jedoch was sprechen, wie handeln, das schwamm noch in unklaren Nebeln. Sodann bei seiner Rückkehr ins Bureau geschah das noch Unerhörtere, der Bruch mit seinen vierzigjährigen Gewohnheiten, daß er sich hinsetzte, einen langen Brief zu schreiben, anstatt sich sofort wieder in seine endlosen Additionen zu versenken. In diesem Briefe, den er an Mathieu richtete, erzählte er die ganze Geschichte, das Wiederauftauchen Alexandres, die Pläne Constances, die Hilfe, die er selbst dabei zu leisten unternommen hatte. Er warf dies alles übrigens nur so hin, wie es ihm in die Feder floß, wie eine Beichte, mit der er sich das Herz erleichterte, aber ohne daß er selbst noch einen Entschluß gefaßt hätte, was er in der Rolle des Richtenden, die so schwer auf seinen Schultern lastete, tun solle. Wenn Mathieu alles wußte, würden sie zwei sein, um zu wollen. Und er schloß einfach damit, daß er ihn bat, morgen hereinzukommen, aber nicht vor sechs Uhr, denn er wollte Alexandre kennen lernen, wissen, wie die Zusammenkunft verlaufen war, und was Constance von ihm verlangte.
    Die folgende Nacht und der darauffolgende Tag mußten schrecklich für ihn gewesen sein. Die Hausmeisterin erzählte später, daß der Bewohner des vierten Stockes Morange die ganze Nacht über seinem Kopfe herumgehen gehört habe. Die Türen gingen auf und zu, er verschob die Möbel, wie zu einem Umzug. Man glaubte sogar Schreie, Schluchzen gehört zu haben, das Gespräch eines Wahnsinnigen, der mit Schatten Zwiesprache hielt, irgendeine schauerliche Zeremonie eines Menschen, der den Toten, von denen er umgeben war, einen geheimnisvollen Kultus widmete. Und tagsüber in der Fabrik gab er beunruhigende Zeichen seiner Seelenqual, der Schatten, die seinen Geist verdüsterten, saß stieren Blickes da oder ging, von qualvollen Seelenkämpfen gejagt, wohl zehnmal ohne Anlaß in die Werkstätten hinab, stand in Gedanken versunken vor einer sausenden Maschine, kehrte dann wieder zu seinen Rechnungen zurück, verzweifelt, das nicht finden zu können, was er so schmerzlich suchte. Als der düstere Wintertag um vier Uhr in die Nacht überging, bemerkten die zwei Untergebenen, die er in seinem Bureau hatte, daß er aufhörte zu arbeiten. Er saß und wartete, den Blick auf die Uhr geheftet. Und als es fünf Uhr schlug, überzeugte er sich zum letztenmal, daß eine Endsumme stimmte, erhob sich und ging hinaus, das Buch aufgeschlagen liegen lassend, als ob er bald

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