Fruchtbarkeit - 1
als vor dieser Erscheinung des Vaters.
Sie sprach kein Wort, und er sagte nichts als: »Sie sind hinuntergestürzt und sind beide tot; tot wie Blaise.«
Sie sagte noch immer nichts und sah ihn an. Einen Moment standen sie so, Aug’ in Auge. Und in ihren Augen las er alles, die Mordtat entstand, entwickelte sich, wurde vollendet. Da unten stürzten die Körper zerschmettert aufeinander.
»Unglückliche, zu welchen Greueltaten haben Sie sich verirrt, und welche Blutschuld haben Sie auf sich geladen!«
Mit gewaltiger Anstrengung rief sie ihren Stolz zu Hilfe, richtete sich auf, wollte noch einmal siegen, ihm zurufen, daß sie die Mörderin sei, ja, und daß sie recht gehabt habe und immer recht habe. Aber er erdrückte sie mit einer neuen Enthüllung: »Sie wissen also nicht, daß dieser elende Alexandre einer der Mörder der Madame Angelin, Ihrer Freundin, war, der armen Frau, die eines Winterabends beraubt und erwürgt wurde! Ich habe es Ihnen aus Mitleid verschwiegen. Er säße im Kerker, wenn ich gesprochen hätte. Und Sie kämen auch dahin, wenn ich heute spräche.«
Das war der letzte Schlag. Sie sank wortlos auf den Teppich hin, steif wie ein gefällter Baum. Nun war ihre Niederlage vollendet, das Schicksal, dessen Hilfe sie erwartete, hatte sich gegen sie gekehrt und schleuderte sie zu Boden. Eine Mutter weniger, welche durch die auf ein einziges Kind gehäufte Liebe war verderbt worden, eine bestohlene, betrogene, rasende Mutter, die in dem Wahnsinn ihrer untröstlichen Mutterschaft bis zum Morde gelangt war. Und sie lag nun der Länge nach da, mager und vertrocknet, vergiftet durch die Liebe, der sie nicht hatte genügen können. Mathieu rief Beistand herbei, die alte Magd kam eiligst, legte sie mit seiner Hilfe ins Bett und entkleidete sie dann. Da sie wie tot dalag, von einem jener Anfälle erfaßt, in denen ihr der Atem ausblieb, ging er selbst, um Boutan zu holen, den er glücklicherweise in dem Augenblicke traf, da er zum Diner heimlehrte. Boutan, nun bald Zweiundsiebzig Jahre alt, hatte seine Praxis aufgegeben, verbrachte den Rest seines Daseins in der Gemütsheiterkeit seines Glaubens an das Leben, und besuchte nur noch einige wenige alte Patienten, seine Freunde. Er verweigerte seinen Beistand nicht, untersuchte die Kranke, und machte dann eine Gebärde der Hoffnungslosigkeit von so unmißverständlicher Bedeutung, daß Mathieu, beunruhigt, es auf sich nahm, Beauchêne zu suchen, damit er wenigstens da sei, wenn seine Frau starb. Als er die alte Magd befragte, hob diese die Hände zum Himmel: sie wisse nicht, wo der Herr sei, der Herr lasse nie eine Adresse zurück. Endlich faßte sie, ebenfalls von Schrecken ergriffen, einen Entschluß und lief zu den beiden Damen, der Tante und der Nichte, deren Adresse sie ganz gut wußte, da ihre Herrin selbst sie in drängenden Fällen dahin gesandt hatte; aber sie erhielt die Auskunft, daß die Damen gerade gestern mit Monsieur auf acht Tage zu ihrer Erholung nach Nizza gefahren seien; und da sie nicht ohne jemand von der Familie zurückkehren wollte, hatte sie die gute Idee gehabt, auf dem Rückwege zu der Schwester des Herrn, der Frau Baronin de Lowicz, zu gehen, welche sie nun fast mit Gewalt in dem Wagen, den sie benutzt hatte, mitbrachte.
Boutan hatte vergeblich sogleich alles Nötige angewendet. Als Constance die Augen öffnete, sah sie ihn starr an, erkannte ihn offenbar und schloß die Lider gleich wieder. Auf alle an sie gerichteten Fragen verweigerte sie beharrlich die Antwort. Sie hörte offenbar und wußte, daß Leute da waren, die sie pflegten; aber sie wollte ihre Pflege nicht, sie beharrte darauf, tot sein zu wollen, kein Lebenszeichen mehr zu geben. Weder ihre Augenlider noch ihre Lippen öffneten sich, sie blieb unbeweglich unter der zermalmenden Wucht ihrer Niederlage, als gehörte sie dieser Welt nicht mehr an.
Sérafine war sehr seltsam. Sie verbreitete einen starken Duft von Aether um sich, denn sie trank jetzt Aether. Als sie den zweifachen Unglücksfall erfuhr, den Tod Moranges und Alexandres, wodurch bei Constance ein Herzkrampf hervorgerufen worden, ging nur ein irres Zucken über ihr Gesicht, eine Art unwillkürliches Lächeln, und sie sagte: »Oh, das ist komisch!«
Sie setzte sich dann in einen Fauteuil, ohne aber Hut und Handschuhe abzulegen. So saß sie da, die Augen weit geöffnet, diese braunen, goldflimmernden Augen, die einzigen lebenden Flammen, die sie aus der entsetzlichen Verwüstung ihrer einstigen Schönheit
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