Fruchtbarkeit - 1
hatte ihn ein ahnungsvoller Schauer erfaßt. Es war bei der Rouche, wo Valérie starb.
Morange fühlte offenbar die Notwendigkeit, ein Geständnis zu machen, wenigstens Aufklärungen zu geben. Er brach sein Schweigen, verfiel wieder in fieberische Erregung. Aber er konnte es nicht über sich gewinnen, sogleich die Wahrheit zu gestehen, und versuchte zuerst zu lügen.
»Ja, Valérie ist zu einer Hebamme gegangen, um sich untersuchen zu lassen. Und während der Untersuchung ist eine so heftige Blutung eingetreten, daß man nicht imstande war, sie zu stillen.«
»Haben Sie denn keinen Arzt rufen lassen?«
Diese Frage brachte ihn aus der Fassung. Er suchte nach Worten und stammelte:
»Einen Arzt, freilich – ein Arzt hätte sie vielleicht gerettet. Aber man hat mir gesagt, daß alles vergeblich sei.«
Dann überwältigte ihn die Verzweiflung, und seiner selbst nicht mehr mächtig, schluchzte er hervor:
»Man hat mich gehalten, hat mich eingeschlossen, hat mich mit Gewalt verhindert, einen Arzt zu holen. Ich wollte alles zerbrechen, wollte zum Fenster hinausspringen – aber als ich sah, wie schrecklich viel Blut meine Frau verlor, da wußte ich, daß sie nicht mehr zu retten sei. Und wenn Sie wüßten, was man mir alles gesagt hat, daß ich verrückt sei, daß ich uns alle ins Zuchthaus bringen würde! Valérie selbst wurde böse auf mich. Die andern legten mir die Hand auf den Mund, erstickten meine Schreie, versicherten mir jetzt, daß es nichts zu bedeuten habe, daß es bald vorüber sein werde. Oh, die Elenden, die Elenden!«
Er sagte alles, er erzählte von dem abscheulichen Instrumente, welches freilich von einer geübten Hand geführt wurde, welches aber doch unerwarteterweise ein Lebensorgan getroffen und durchbohrt haben mußte. Es sei eine heftige Blutung entstanden, gegen welche die Hebamme anfangs vergebens gekämpft habe. Gegen zehn Uhr habe sie dann wieder etwas Hoffnung gefaßt. Aber um Mitternacht sei die Kranke in eine plötzliche Ohnmacht verfallen.
»Denken Sie sich, daß wir seit sieben Uhr abends da waren, da dieses Weib gesagt hatte, daß sie es vorziehe, die Operation bei Nacht vorzunehmen, daß sie keines Tageslichtes dazu bedürfe, daß eine Kerze genüge und daß ihr diese Stunde aus verschiedenen Gründen am besten passe … Um zwei Uhr morgens befand ich mich noch in dem Unglücksgemach, in welchem, wie wir verabredet hatten, Valérie fünf oder sechs Tage verbringen sollte, bis sie genesen sei. Und noch war sie nicht zur Besinnung gekommen, lag noch immer ohnmächtig, weiß, starr, ohne ein andres Lebenszeichen als ein schwaches Atmen. Was hätte ich nun tun sollen? Zu Hause mußte Reine wahnsinnig vor Unruhe sein, denn ich hatte ihr gesagt, daß ich ihre Mutter auf den Bahnhof begleite und sogleich wieder zurückkehren werde. Sie haben mich schließlich vor die Tür gesetzt und mir gesagt, daß ich vielleicht eine angenehme Ueberraschung erfahren werde, wenn ich heute früh wiederkomme. Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin, und heute habe ich nun an Sie gedacht, daß Sie mir helfen, denn ich fühle mich unfähig, allein dorthin zurückzukehren. Mein Gott, mein Gott, in welchem Zustande werden wir sie finden?«
Während er sich bisher vor Ungeduld verzehrt und immer wieder gesagt hatte, daß der Wagen nicht vorwärts komme, erfaßte ihn nun ein Schauer bei dem Gedanken, daß sie sich dem Hause näherten und daß er bald alles wissen würde. Er warf Blicke voll steigender Angst auf die Straßen, er fühlte bereits die kalte Feuchtigkeit des entsetzlichen Hauses auf der Brust, je näher sie ihm kamen.
»Ach, lieber Freund, verdammen Sie mich nicht. Wenn Sie wüßten, was ich leide!«
Mathieu, der kein Wort hervorbringen konnte, begnügte sich, seine Hand zu fassen, sie zu drücken und in der seinigen zu behalten. Dieser Beweis warmherzigen Mitgefühls und der Verzeihung rührte den armen Mann zu Tränen.
»Dank, Dank!« Der Wagen hielt und Mathieu sagte dem Kutscher, er möge warten. Morange war bereits ins Haus geeilt, und er mußte rasch folgen, um ihn einzuholen. Aus der warmen, hellen Sonne des schönen Morgens traten sie in den halbdunkeln, übelriechenden Torweg mit den rissigen, schimmeligen Mauern. Dann kam der Hof mit dem grünlichen Pflaster, gleich dem Boden einer Zisterne, die klebrige Treppe, die von Miasmen erfüllt war, die gelbliche Tür, welche die Schmutzflecken der Hände zeigte, die sie angefaßt hatten. An schönen Tagen erschien das Haus noch
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