Fruchtbarkeit - 1
Bewegung hatte sie Céleste bedeutet zu bleiben: sie war eine Freundin, eine Vertraute, eine zuverlässige Person, vor der man ungescheut sprechen konnte.
»Mein Herr, ich habe nicht einmal die Ehre, Ihren Namen zu kennen, aber ich habe auf den ersten Blick gesehen, daß ich mit einem vernünftigen und gebildeten Manne zu tun habe, der das Leben kennt. Und deshalb wünschte ich Ihnen im Vertrauen zu sagen, daß die Verzweiflung Ihres Freundes mich ein wenig beunruhigt – oh, nur um seinetwillen. Sie können sich nicht vorstellen, welchen Wahninnsanfall wir letzte Nacht bei ihm haben besänftigen müssen. Und ich fürchte, wenn die Raserei ihn wieder erfaßt, daß er sich vielleicht zu Handlungen hinreißen lasse, deren gefährliche Folgen Sie sich nicht verhehlen werden. Gewiß, der Schlag, der ihn betroffen hat, ist ein entsetzlicher, Sie sehen mich selbst ganz fassungslos darüber, ich habe kein Auge schließen können, seitdem das Unglück geschehen ist. Aber, Sie begreifen, daß es weit entfernt wäre, an der Sache etwas zu verbessern, wenn er selbst sich ins Unglück stürzen, sich die schrecklichste Verantwortung aufladen wollte, indem er seinen Kummer unnötigerweise hinausschreit … Noch einmal, ich schwöre Ihnen, daß ich viel mehr an ihn als an mich denke, denn ich, mein Gott, ich helfe mir immer heraus.« Mathieu begriff sehr wohl. Man konnte den Leuten ihre Mitschuld nicht besser zum Bewußtsein bringen, als indem man ihnen zu verstehen gab, daß, wenn sie unklug genug wären, das Verbrechen durch irgendwelche unvorsichtige Reden zu verraten, sie die ersten wären, die man anklagen und bestrafen würde.
»Man muß Rücksicht auf den furchtbaren Schmerz meines Freundes nehmen,« antwortete er kalt. »Ich werde nicht nötig haben, ihm zu empfehlen, daß er das Vernunftgemäße tue, denn er wird wohl, trotz des niederschmetternden Schlages, der ihn betroffen hat, alle Seiten der Sache in Betracht ziehen.« Ein Stillschweigen folgte. Madame Rouche betrachtete ihn mit ihrer ruhigen Miene, und ein merkliches Lächeln trat auf ihre dünnen Lippen.
»Ich sehe wohl, mein Herr, daß Sie mich für eine Verbrecherin, eine Mörderin halten. Ach, wenn Sie hier gewesen wären, als dieser Herr und die arme Dame zu mir kamen! Sie haben geschluchzt wie die Kinder, sie haben sich mir zu Füßen geworfen, weil ich zuerst nicht wollte. Und welche Dankbarkeit, und welche Versprechungen ewiger Erkenntlichkeit, als ich endlich einwilligte! Die Sache hat sich zum Schlimmen gewendet, irgendeine unregelmäßige Bildung muß mich getäuscht haben, und so hat es ein großes Unglück gegeben. Bin ich nicht die erste, die verzweifelt und bedroht ist? Glauben Sie, daß ich nicht meinen Kummer und meine Befürchtungen habe? Sie sollten doch zu Hause bleiben, die Gatten und Gattinnen, die die Gefahr nicht auf sich nehmen wollen, nachdem sie sich der Annehmlichkeit erfreut haben!«
Sie ereiferte sich, ihre ganze kleine Person zitterte vor Ueberzeugung.
»Was ich getan habe, das tun ja alle Hebammen! Das tun ja auch alle Ärzte! Ich möchte die unter uns sehen, die vermöchte, es nicht zu tun, angesichts der jammervollen Dinge, die uns alle Tage anvertraut werden! Ach, mein Herr, wenn ich Sie in diesem Zimmer verbergen könnte, wenn Sie alle die Unglücklichen hören könnten, die hier hereinkommen, so würden sich alle Ihre Begriffe ändern. Eine arme kleine Kaufmannsfrau kommt eines Tages zu mir, halb tot, am Unterleib durch einen Fußtritt ihres Mannes verletzt, und vergießt heiße Tränen, indem sie sagt, daß sie kein Kind will; hatte ich wohl recht, dieser zu helfen? Vorige Woche kommt eine Bauernmagd, die aus der Beauce zu Fuß hierhergegangen ist, überall hinausgejagt, von den Kindern mit Steinwürfen verfolgt, gezwungen, in Heuschobern zu schlafen und den Hunden das Futter wegzustehlen: glauben Sie nicht auch, daß es eine barmherzige Tat war, sie sofort zu entbinden, damit sie nicht länger sich mit ihrer unglückseligen Frucht schleppe? Und alle die, welche die Provinz mir sendet, welche vom Bahnhofe SaintLazare nur einen Sprung hierher haben, Bürgersfrauen, Arbeiterinnen, die mir schwören, daß sie ihr Kind töten werden, wenn ich ihnen nicht helfe! Und alle, die aus Paris kommen, und die auch immerfort diese Drohung im Munde führen, viele arme Mädchen, aber auch reiche, glückliche, geachtete Damen – alle, alle, verstehen Sie wohl, sind zum Alleräußersten entschlossen, sich der Gefahr auszusetzen, sich mit
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