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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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abscheulicher als sonst.
    Morange klingelte heftig, und das Mädchen mit der schmutzigen Schürze öffnete. Aber als sie den Eintretenden erkannte und ihn in Begleitung eines Freundes sah, wollte sie beide in dem kleinen Vorzimmer zurückbehalten.
    »Monsieur, Monsieur, warten Sie –«
    Und da Morange sie beiseite schob:
    »Ich habe Auftrag, Sie nicht weiter zu lassen. Bitte, warten Sie, bis ich Madame benachrichtigt habe.«
    Er ließ sich in keine Unterhandlungen ein, sprach kein Wort, sondern stieß sie aus dem Wege und eilte weiter. Mathieu folgte ihm, während das Dienstmädchen, nachdem sie das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, forteilte, um die Hebamme zu holen.
    Morange ging hastig den Korridor entlang bis zu der ihm wohlbekannten Tür; er öffnete sie mit tastender, zitternder Hand. Dieses Mädchen, das ihm den Weg hatte verlegen wollen, dieses so ängstlich behütete Zimmer hatten ihn toll gemacht. Und welches Gemach des Abscheus und des Entsetzens, das sie nun betraten! Es war durch ein staubiges Fenster erhellt, das auf den Hof ging und das nur ein schwaches Kellerlicht eindringen ließ. Unter dem rauchgeschwärzten Plafond, zwischen den vier Wänden, von denen die feuchten Tapeten in Fetzen herunterhingen, enthielt es an Einrichtung lediglich eine Kommode mit zerbrochener Marmorplatte, ein wackeliges Nachtkästchen, zwei zerrissene Stühle und ein Bett aus imitiertem Mahagoni, dessen Fugen die Spuren von Ungeziefer zeigten. Und hier, inmitten dieser anwidernden Verwahrlosung, auf diesem noch in der Mitte des Raumes stehenden elenden Bette lag Valérie, ganz kalt, seit sechs Stunden tot. Ihr reizender Kopf ruhte auf ihren gelösten schwarzen Haaren. Das Gesicht war wachsbleich, als ob alles Blut ihres Körpers durch die verbrecherische Wunde entströmt wäre. Dieses im Leben so runde und frische Gesicht, das so viel liebenswürdige Fröhlichkeit, so warmes Verlangen nach Luxus und Wohlleben ausgedrückt hatte, hatte im Tode einen schrecklichen Ernst angenommen, ein verzweifeltes Bedauern um das, was sie in so entsetzlicher Weise verließ. Die Decke war herabgeglitten, ein Stück ihrer Schultern war sichtbar, jener bereits etwas zu vollen Schultern, auf deren Schönheit ihr Mann aber stolz war, wenn sie sich dekolletierte. Eine Hand, die rechte, sehr blaß, sehr fein, wie verlängert durch die Vernichtung, in die sie gefallen war, lag auf der Decke am Rande des Bettes. Sie war tot, sie war allein, ohne eine Seele neben ihr, ohne eine Kerze.
    Versteinert starrte Morange sie an. Sie schien zu schlafen, deren Augen für immer geschlossen waren. Aber er täuschte sich darüber nicht, er sah das leichte Atmen nicht mehr, die Lippen waren geschlossen und ganz weiß. Die Erbärmlichkeit dieses Zimmers, das kalte Entsetzen über diese verlassene Tote, die hier allein lag wie eine am Straßenrand Ermordete, trafen ihn so ins Herz, daß er betäubt dastand. Er faßte ihre Hand, er fühlte ihre eisige Kälte und ein unartikuliertes Stöhnen rang sich aus seinem Innern empor. Dann fiel er auf die Knie, legte seine Wange gegen diese Marmorhand, ohne ein Wort, ohne selbst zu schluchzen, als ob er selber an dieser Erstarrung erstarren, mit ihr in den kalten Tod hinübergehen wollte. So blieb er regungslos.
    Auch Mathieu war unbeweglich stehengeblieben, entsetzt von diesem jähen Ende, von dieser Vernichtung, von diesem Abgrund der Erniedrigung, in welchen das unglückliche Ehepaar gestürzt war. Das schreckliche Schweigen dauerte eine Weile; dann wurde es von einem leichten Geräusch, gleich dem Herannahen einer vorsichtigen Katze unterbrochen. Durch die Tür, die offen geblieben war, trat Madame Rouche herein, näherte sich in ihrer stillen, gelassenen, diskreten Weise, in ihrem ewigen schwarzen Kleide. Ihre große Spürnase wendete sich sofort diesem fremden Herrn zu, der sie, wie sie sich erinnerte, schon einmal besucht hatte, um anscheinend eine Dame bei ihr unterzubringen. Er schien ihr keinerlei Unruhe einzuflößen, sie betrachtete ihn gelassen prüfend, behielt eine Seelenruhe, die ihn in Erstaunen setzte. Sie schien lediglich von Mitleid durchdrungen für den armen Mann, der neben der Toten zusammengebrochen war. Ihr liebenswürdiger Blick schien zu sagen: ›Welch ein Unglück, welch ein trauriger Fall, wie klein sind wir den unberechenbaren Ratschlüssen des Schicksals gegenüber!‹
    Als sodann Mathieu den Unglücklichen aufrichten und trösten wollte, hinderte sie ihn daran, indem sie flüsterte: »Nein,

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