Fruchtbarkeit - 1
nein, lassen Sie ihn, das wird ihm guttun. – Kommen Sie, Monsieur, ich möchte mit Ihnen sprechen.«
Sie führte ihn hinaus. Auf dem Korridor schlugen schreckliche Laute an ihre Ohren, man hörte dumpfe Schreie, entfernte Hilferufe. Immer noch ohne jede Erregung, öffnete sie eine Tür und schob ihn in ein Zimmer, indem sie sagte: »Bitte, mich hier zu erwarten.«
Es war ihr Arbeitszimmer, ein enges Gelaß mit abgenutzten roten Samtmöbeln und einem kleinen Mahagonischreibtisch; in einem großen Fauteuil saß ein junges Weib mit losem Haar, das mit lässiger Hand nähte, eine offenbar kürzlich Entbundene, denn sie war sehr blaß.
Als sie den Kopf erhob, erkannte Mathieu mit Erstaunen Céleste, die Zofe Madame Séguins. Sie selbst erbebte und war von diesem unerwarteten Zusammentreffen so bestürzt, daß ihr der Ausruf entfuhr: »Oh, Monsieur Froment! Sagen Sie Madame nichts davon, daß Sie mich hier gefunden haben!«
Er erinnert sich sodann, daß Céleste vor drei Wochen die Erlaubnis erhalten hatte, auf einige Zeit nach Rougemont, ihrer Heimat, zu reisen, da ihre Mutter im Sterben sei. Briefe von dort trafen regelmäßig von ihr ein. Ihre Herrin hatte ihr geschrieben, sie möge baldigst kommen, damit sie zur Zeit ihrer Entbindung zugegen sei. Aber die Zofe hatte geantwortet, daß ihre Mutter sich in hoffnungslosem Zustande befinde, und daß sie sie unmöglich verlassen könne, da stündlich ihr Tod erwartet werde, der übrigens bis jetzt noch nicht eingetreten sei. Und nun fand er das Mädchen bei der Rouche, vielleicht acht Tage nach einer Entbindung.
»Es ist wahr, Monsieur, ich war in andern Umständen. Ich habe wohl gesehen, daß Sie einmal etwas bemerkten. Die Männer sehen so etwas gleich. Madame hat nie den geringsten Verdacht gehabt, so geschickt habe ich es angestellt. Sie begreifen, nicht wahr, ich wollte meinen Platz nicht verlieren, und da sagte ich, daß meine Mutter krank sei. Eine Freundin, die Couteau, empfängt meine Briefe dort drunten und schickt meine Antworten ab. Freilich, es ist nicht schön, zu lügen, aber was sollen wir arme Mädchen tun, wenn Schufte und Meineidige die Gemeinheit begehen, uns zu Fall zu bringen?«
Was sie nicht erzählte, das war, daß dies schon ihr zweites Kind war, noch auch, daß die Sache diesmal nicht so zufriedenstellend abgelaufen war, wie beim ersten. Diesmal war das Kind, obgleich von kaum sieben Monaten, lebend und kräftig zur Welt gekommen. Das Leben hat eben manchmal seinen Eigensinn. Und da das Hausgesetz den Kindesmord verbot, hatte man seine Zuflucht zu der Couteau nehmen müssen, die in solchen widrigen Fällen der letzte Rettungsanker war. Sie war am Tage nach der Geburt gekommen und hatte das Kind mitgenommen, um es in Rougemont in Pflege zu geben. Es war nun wahrscheinlich tot.
»Sie begreifen, Monsieur, daß ich mich nicht hätscheln kann wie eine Dame. Die Aerzte sagen, daß man wenigstens zwanzig Tage im Bett bleiben muß, um sich zu erholen. Ich bin nun sechs Tage im Bett geblieben und bin heute aufgestanden, um zu Kräften zu kommen, so daß ich Montag wieder meinen Dienst antreten kann. Unterdessen beschäftige ich mich, wie Sie sehen, und bessere für Madame Rouche, die so gut gegen mich ist, Wäsche aus. – Nicht wahr, ich kann darauf rechnen, daß Sie mein Geheimnis bewahren werden?«
Mathieu sagte ihr dies mit einem Kopfnicken zu. Er betrachtete dieses Mädchen von kaum fünfundzwanzig Jahren, mit ihrem unschönen, massigen Kopfe, aber derbem, gesundem Körper und schönen Zähnen, und sah sie so von einer Schwangerschaft zur andern gelangen, die Totgeborenen in die Erde senken, unerschlossene Samenkörner, die in der Feuchtigkeit verfaulten. Sie flößte ihm Abscheu und Mitleid ein.
»Verzeihen Sie eine Frage. Können Sie mir wohl sagen, ob auch Madame niedergekommen ist?«
Er erwiderte, Madame Séguin sei nun wohl entbunden, habe aber nahezu achtundvierzig Stunden lang sehr gelitten.
»Ach ja, das wundert mich nicht, Madame ist so zart … Ich bin aber doch froh, daß es vorüber ist. Ich danke Ihnen schön.«
Jetzt trat Madame Rouche ein und schloß in ihrer heimlichen Weise die Tür geräuschlos hinter sich. Nach den dumpfen Schreien, die durch die Wohnung geschallt hatten, war diese wieder in Todesschweigen zurückverfallen. Sie setzte sich, immer mit ihrer wohlwollenden und gelassenen Miene, an ihren Schreibtisch und stützte den Ellbogen darauf, nachdem sie Mathieu sehr höflich gebeten hatte, Platz zu nehmen. Mit einer
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