Fruchtbarkeit - 1
innerlichen Mitteln zu vergiften, sich die Treppen herabfallen zu lassen, um sich eine befreiende Erschütterung zuzuziehen, sich selbst zu entbinden, um das Kind zu ersticken oder es auf die Straße zu legen. Nun denn, was wollen Sie, daß ich tue? Glauben Sie nicht, daß man schon genug kleine Leichen in den Kloaken und Senkgruben findet? Würde sich nicht, wenn wir uns weigerten zu tun, was man von uns verlangt, die Zahl der Kindesmorde verdoppeln? Ist dies nicht, ganz abgesehen von der barmherzigen Tat, die wir an diesen bedauernswerten Frauen üben, ist dies nicht eine notwendige Abteilung, eine vorbeugende Maßregel sozialer Klugheit, die viele Dramen und Verbrechen verhindert? Verstehen Sie wohl, mein Herr, ich schwöre, daß noch nie ein lebendgeborenes Kind bei mir getötet worden ist. Die Mutter oder die Amme machen nachher damit, was sie wollen, damit habe ich mich nicht zu befassen.«
Sie triumphierte, sie schwor bei ihrer Ehre, sie warf sich in die Brust, sie sah in dem schaudernden und entsetzten Schweigen Mathieus die Zustimmung eines Besiegten, der nichts zu erwidern vermochte. Und als er eine Bewegung machte, um dieser Hölle zu entfliehen, fuhr sie lebhaft fort:
»Noch ein Wort, mein Herr. Ich will Ihnen einen Fall erzählen. Im Hause gegenüber befand sich zu Anfang des Winters bei einem reichen Bankier ein blondes Stubenmädchen, ein reizendes Kind. Natürlich kommt sie in andre Umstände und sucht mich auf, aber zu spät, als daß ich nach meinen Prinzipien hätte eingreifen können. Dann fand ich auch, daß diese Kleine wirklich zu nahe wohne, was gefährlich ist, wegen des Tratsches … Zwei Monate vergingen. Eines Morgens um sechs Uhr kommt die Köchin desselben Hauses, um mich zu holen, führt mich heimlich über die Diensttreppe in den sechsten Stock, in das Zimmer, das sie mit der kleinen Blondine bewohnt. Und was finde ich in einem der beiden Betten? Die arme Kleine tot, die Hände um den Hals des Kindes geklammert, daß sie bei der Geburt erwürgt hatte. Aber das Merkwürdigste war, daß die andre, die Köchin, die in kaum zwei Metern Entfernung von ihr schlief, absolut nichts gehört hatte, keinen Schrei, keinen Ton. Sie hatte erst gesehen, was geschehen war, als sie erwachte … Können Sie sich sie vorstellen, das arme Kind, ihre Schmerzen unterdrückend, ihre Schreie erstickend, das Kind erwartend, um es mit ihren fieberhaften Händen zu erwürgen? Und dann, kraftlos nach dieser letzten Anstrengung, alles Blut aus ihren Adern hinfließen lassend, und endlich selbst in den Tod entschlafend, dem kleinen Wesen nach, das ihre erstarrten Hände nicht fahren gelassen hatten? Natürlich habe ich der Köchin gesagt, daß mich dies nichts angehe, und daß sie nach einem Arzte senden solle, damit er den Tod konstatiere. Aber Sie mögen es mir glauben, mein Herr, daß ich mich von diesem Vorfall nicht erholen kann. Ja, ich mache mir schwere Vorwürfe, daß ich das arme Geschöpf zurückgestoßen habe. Und ich frage Sie noch einmal, wenn ich mich also ihrer angenommen hätte, würden Sie einen Stein auf mich werfen, müßten Sie nicht sagen, daß ich damit eine gute Tat vollbracht hätte?«
»Selbstverständlich! Ohne Zweifel!« rief Céleste, die mit gespanntem Interesse der Erzählung gefolgt war.
Mathieu hatte sein Herz brechen gefühlt. Der letzte Grad des Entsetzens war überschritten, er hatte den Boden des Abgrundes erreicht. Das war die tiefste Hölle der Mutterschaft. Er erinnerte sich, was er bei Madame Bourdieu gesehen hatte, die heimliche und schuldbeladene Schwangerschaft, verführte Dienstboten, ehebrecherische Gattinen, blutschänderische Mädchen, die namenlos hierherkamen, um elenden Wesen das Leben zu geben, die dann ins Unbekannte verschwanden. Sodann hier, bei der Rouche, fand er das heuchlerische Verbrechen, die Erstickung der angeborenen Frucht, die tot zur Welt kam, oder mit dem ersten Atemzug ihr Leben aushauchte. Und auch anderwärts, überall, sah er den Kindesmord, das unverhüllte Verbrechen, das lebensfähige Kind, das erwürgt, bei Seite geschafft wurde. Die Ziffer der Ehen hatte sich nicht vermindert, aber die Zahl der Geburten war um ein Viertel gesunken, und alle Kloaken der großen Stadt führten kleine Leichen mit sich. Er war auf den Boden des menschlichen Sumpfes geraten, und er fühlte den Schreckenshauch zahlloser verborgener Dramen, zahlloser geheimer Morde erstickend über sich hinwehen. Und das Unerhörte war, daß dieses Weib, diese gemeine und
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