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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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entbunden, er sollte längst da sein.«
    Marianne schlug langsam die Augen auf und bemühte sich zu lächeln. Sie konnte nicht gleich sprechen. Endlich sagte sie leise und abgebrochen: »Warum erzürnst du dich? Wenn er nicht kommt, so ist wohl irgendeine Komplikation eingetreten. Was könnte er mir auch helfen? Wir müssen warten.« Dann erfaßte sie ein solcher Anfall, daß ihr ganzer Körper davon geschüttelt und emporgehoben wurde, während der Schmerz ihr laute Klagen erpreßte. Tränen rannen über ihre Wangen herab.
    »Ach, Liebste, Liebste,« sagte Mathieu, ebenfalls weinend, »ist es möglich, daß du so leidest! Und ich hatte gehofft, daß alles so gut ablaufen werde! – Letztes Mal hast du nicht solche Schmerzen ausgestanden.«
    Sie hatte sich wieder beruhigt, sie lächelte sogar.
    »Das letztemal glaubte ich, daß nicht viel von mir Armen übrigbleiben würde. Du erinnerst dich nur nicht. Es ist immer dasselbe, man muß seine Freude teuer bezahlen. Aber beunruhige dich darüber nicht, du weißt, wie glücklich ich bin, alles auf mich zu nehmen. – Setze dich hier neben mich und sprich nicht. Die geringste Erschütterung verschlimmert die Schmerzanfälle.«
    Darauf kniete er langsam und sanft neben ihr nieder, nahm ihre Hand, die auf dem Bettrande lag, und lehnte seine Wange daran, wie um durch diese Berührung sein ganzes Wesen mit dem ihrigen zu vereinen und teil an ihren Leiden zu nehmen. Eine plötzliche Erinnerung tauchte in ihm auf, an den armen Morange, der in derselben Haltung, mit derselben Zärtlichkeit seine brennende Wange gegen die kalte Hand seiner toten Frau gelehnt hatte. Im Leben wie im Tode schlang sich dasselbe Band zwischen Mann und Weib. Aber alle Fieberglut des Unglücklichen hatte die eiskalte Hand nicht erwärmen können, während er im Gegenteil fühlte, daß er durch diese Berührung seiner geliebten Dulderin einen kleinen Teil der Schmerzen abnahm, unter denen sie sich wand. Er litt mit ihr, er machte alle die Anfälle mit, von denen sie durchzuckt wurde, er stand ihr bei in dem Lebenswerke, in der Stunde der Pein, womit jede menschliche Freude bezahlt werden muß. Diese Gemeinsamkeit hatte er unablässig aufrechterhalten seit der Nacht, da sie beide, dem ewigen Verlangen nachgebend, sich in einer Flamme fruchtbarer Wollust vereinigt hatten. Von da ab war sie mehr als je die Seinige geworden, er hatte sich mehr als je in ihr gefühlt, in dem Maße, als ihre fortschreitende Schwangerschaft sie mehr und mehr mit ihm erfüllte. Die Sorgfalt, mit der er sie von da an umgab, die Zärtlichkeit, mit der er sich zu ihrem stets bereiten Diener machte, sein unablässiges Bestreben, ihr jede kleinste Mühe zu ersparen, ihr den Tag, der anbrach, zu einem freudigen, den, der folgte, zu einem hoffnungsvollen zu machen, waren in seinen Augen nur sein allzu kleiner Anteil an der gemeinschaftlichen Aufgabe, die glückliche Geburt ihres gemeinschaftlichen Kindes vorzubereiten. Ein jeder ehrliche Mann und Vater, welcher wünscht, daß sein Kind gesund und schön sei, muß die schwangere Mutter lieben, so wie er die liebende Gattin am Tage der Empfängnis liebte, mit heiliger Glut, mit unendlicher Leidenschaft, bis zum Aufgehen, bis zum Verschwinden in ihr. Und sein einziger Kummer, als er sie so leiden sah, war, daß er ihr nur Trost und Erleichterung bieten konnte, anstatt seine Hälfte von ihren Schmerzen zu haben, so wie er seine Hälfte der Seligkeit gehabt hatte.
    Es war eine lange, qualvolle Zeit für Mathieu. Minuten vergingen, eine Stunde, zwei Stunden. Doktor Boutan war noch immer nicht da. Das Dienstmädchen, das er zu den Séguin geschickt hatte, war mit dem Bescheid zurückgekehrt, daß der Arzt ihr sogleich folgen werde. Dann begann wieder das Warten. Marianne hatte Mathieu gezwungen, sich auf einen Stuhl zu setzen, aber er hielt ihre Hand noch immer zwischen den seinigen. Beide, bleich von derselben Qual, schwiegen still, wechselten nur wenige Worte zärtlicher Unruhe. Sie machten zusammen das große und segensreiche Leiden durch, das Leiden, welches das Leben gibt, nach dem geheimnisvollen Ratschlusse, der will, daß eine jede Schöpfung von Schmerzen begleitet sei. Und diese Schmerzen verschmolzen sie vollends miteinander, erhoben sie zu solch vollkommener Liebe, daß keine Trauer an sie herankonnte, und daß das Leidenszimmer, im Gegenteil von dem Glücke ihrer Hingabe durchstrahlt, den baldigen Triumph verkündete.
    Die Klingel ertönte, und Mathieu eilte erregt hinab. Und als

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