Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
heimtückische Mörderin, mit lauter Stimme sprach, von ihrer Mission überzeugt zu sein schien, ihm Wahrheiten sagte, die ihn zu Boden drückten. Die Mutterschaft verfiel diesem mörderischen Wahnwitz nur infolge der sozialen Greuel, der Entsittlichung der Liebe, der Ungerechtigkeit der Gesetze. Der göttliche Trieb war besudelt, die unsterbliche Lebensflamme entwürdigt, und nichts war geblieben, als die wahllose Brunst. Die erste Lebensregung des Kindes flößte der Mutter schauderndes Entsetzen ein, die Angst vor dem Zurweltkommen der Frucht eines Mißverständnisses, das mörderische Verlangen, sie im Keime zu zerstören wie ein schädliches Unkraut. Alles vereinigte sich in dem Schrei des Egoismus: kein Kind mehr, nichts, was die Vorausberechnungen des Geld oder Ehrgeizes stören könnte! Tod dem Leben von morgen, wenn nur der Genuß von heute erreicht wird! Die ganze im Sterben liegende Gesellschaft stieß ihn aus, diesen gottlästerlichen Schrei, der das nahe Ende der Nation ankündigt. Und Mathieu, der das schlecht besäte Paris vor Augen gehabt hatte, an dem Abende, vor nun bald neun Monaten, da er selbst nahe daran gewesen, der lüsternen Tollheit der Unterschlagung zu verfallen – sah nun, von welch bösartigen oder verbrecherischen Händen die Ernte besorgt wurde. Sicherlich gingen viele Saatkörner verloren, die auf das Straßenpflaster geworfen wurden, verdorrten, verbrannten; und welch ein Ausfall während des Anbaues, welch eine Vergeudung durch Gewissenlosigkeit und durch Elend! Aber das war noch nichts, niederträchtige Hände setzten das Werk der Vernichtung fort, wenn es zur Ernte kam. Verschleuderte Aussaat, zerstörte Ernte – das war das teuflische Werk der willkürlichen Unfruchtbarkeit, alle Mächte des Todes kämpften gegen das Leben, angesichts der unbewegten Natur, die die unerschöpfliche Ueberfülle der Keime schafft zum Zwecke der ewigen Ernte von Wahrheit und Gerechtigkeit.
    Mathieu erhob sich jetzt und sagte: »Ich wiederhole Ihnen, Madame, daß es mir nicht zukommt, etwas von dem zu wissen, was hier vorgegangen sein mag. Aber bildet die Anwesenheit dieser Toten nicht an und für sich die ernsteste Gefahr?«
    Madame Rouche antwortete mit ihrem dünnen Lächeln: »Freilich, die Aufsicht ist sehr streng. Glücklicherweise hat man ziemlich überall seine Freunde. Ich habe den Tod angezeigt, der Arzt wird kommen und wird lediglich eine unglücklich verlaufene Fehlgeburt konstatieren.«
    Auch sie hatte sich erhoben und zeigte wieder ihre sanfte und diskrete Miene, den Ausdruck ihres Mitleides über alle die traurigen Dinge, die auf dieser Welt geschehen. Und sie tat, als wollte sie bescheiden protestieren, als wollte sie Céleste den Mund zuhalten, als diese ausrief:
    »Ja, es ist wahr, man würde sich alles das antun, was sie sagt. Es giebt keine bessere Frau auf der Welt, man würde sich für sie in Stücke schneiden lassen … Guten Abend, Monsieur, erinnern Sie sich, was Sie mir versprochen haben.«
    Ehe er ging, wollte Mathieu Morange noch einmal sehen und versuchen, ihn von hier fortzubringen, wenn er konnte. Er fand ihn ohne Tränen neben seiner toten Frau sitzend, seine Verzweiflung hatte sich in dumpfe Vernichtung verwandelt. Bei den ersten Worten, die Mathieu an ihn richtete, unterbrach ihn der Unglückliche mit sehr leiser, tonloser Stimme, als fürchtete er die zu stören, die hier für immer schlief.
    »Nein, nein, mein Freund, sagen Sie mir nichts, alles, was Sie mir sagen können, ist nutzlos. Ich erkenne mein Verbrechen, und ich werde mir nie verzeihen. Wenn sie hier liegt, so ist es, weil ich zugestimmt habe. Ich habe sie freilich vergöttert, ich wollte nur ihr Glück, meine ganze Schwäche bestand darin, daß ich sie zu sehr liebte. Gleichviel, ich war der Mann, ich hätte vernünftig sein sollen, als sie von Wahnsinn erfaßt wurde, ich hätte ihr begreiflich machen sollen, daß dies ein Verbrechen sei, für das wir sicherlich bestraft werden würden … Sie, mein Gott, wie sehr verstehe ich sie, wie sehr entschuldige ich sie, die teure, unglückliche Frau! Aber ich, mit mir ist es aus, ich flöße mir selber Abscheu ein!«
    Seine ganze Mittelmäßigkeit, seine ganze Zärtlichkeit sprach aus diesem Eingeständnis seiner Schwäche. Er fuhr fort, ohne daß seine Stimme lauter oder lebhafter wurde, wie aus der Leere seines gebrochenen Selbst heraus:
    »Sie wollte reich, fröhlich, glücklich sein. Nichts war berechtigter bei einer so schönen und klugen Frau. Und ich

Weitere Kostenlose Bücher