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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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hatte nur eine Freude: ihren Geschmack zu befriedigen, die Wünsche ihres Ehrgeizes zu erfüllen … Sie kennen unsre neue Wohnung, wir hatten zu viel Ausgaben darauf gehabt. Dann kam die Geschichte mit der Nationalkreditbank, die endliche Aussicht auf baldigen Reichtum. Und wie ich dann gesehen habe, daß der Gedanke, sich mit einem zweiten Kinde zu belasten, sie wahnsinnig machte, bin auch ich wahnsinnig geworden, und habe schließlich geglaubt, daß das einzige Heil darin liege, das arme Kleine zu vernichten … Und jetzt liegt sie da, mein Gott! Und wissen Sie, es war ein Knabe, und wir hatten uns so sehr einen Knaben gewünscht, und hatten alles nur in der Gewißheit getan, daß es ein Mädchen sei, und daß wir ihr eine Mitgift zu geben haben würden! Und jetzt ist das Kleine nicht mehr, und sie ist nicht mehr, und ich bin es, der sie getötet hat. Ich wollte nicht haben, daß das Kind lebe, und nun hat das Kind die Mutter mitgenommen!«
    Diese tränenlose, leidenschaftslose Stimme, einer fernen Totenglocke vergleichbar, schnitt Mathieu durchs Herz. Er suchte vergeblich nach Trostworten, er sprach von Reine.
    »Ja freilich. Sie haben recht, Reine, ich liebe sie sehr. Sie ähnelt ihrer Mutter so sehr … Sie werden sie mir bis morgen behalten, nicht wahr? Sagen Sie ihr nichts, lassen Sie sie spielen, ich werde ihr selbst das Unglück mitteilen. – Und ich bitte Sie, quälen Sie mich nicht, führen Sie mich nicht von hier fort. Ich verspreche Ihnen, vernünftig zu sein, ich werde ganz ruhig da bei ihr bleiben und wachen. Man wird mich nicht einmal hören, ich werde niemand belästigen.«
    Seine Stimme erstickte, er stammelte nur mehr zusammenhanglose Worte in der Verwirrung seines Geistes, angesichts seines zertrümmerten Lebens.
    »Sie, die das Leben so liebte, ausgelöscht, so mit einem Male, in einer so schrecklichen Weise! Gestern um diese Zeit ging sie noch, sprach sie noch, hielt ich sie noch in den Armen, sprach davon, ihr einen Hut zu kaufen, den sie gesehen hatte … Mein Gott, da ich mitschuldig war, warum hat sie nicht auch mich mitgenommen, wie das Kind?«
    Mathieu mußte sich entschließen, ihn zu verlassen, da er ihn so erstarrt, so vernichtet sah. Er ging hinab und warf sich in den Wagen, den er hatte warten lassen. Ah, welche Erleichterung, die sonnenbeschienenen, von Menschengewühl belebten Straßen wiederzusehen, die frische Luft einzuatmen, die durch die offenen Wagenfenster hereinströmte! Es war ihm, als sei er der Hölle entronnen, und er sog in vollen Zügen die gesunde Heiterkeit des schönen Tages ein. Und das Bild Mariannens, die wiederzusehen er nicht erwarten konnte, tauchte vor ihm auf wie die trostreiche Versicherung eines baldigen Sieges des Lebens, eines versöhnenden Ersatzes für alle Schändlichkeiten und alle Widernatürlichkeiten. Die teure Frau! Sie war die Gesunde, die Tapfere, die Stütze der ewigen Hoffnung! Sie würde nun, selbst unter Schmerzen, den Triumph der Liebe vollenden, das Werk der Fruchtbarkeit weiterführen, ihr Teil zur Ausdehnung des Lebens, zu der Aufgabe der Zukunft beitragen … Die Langsamkeit des Wagens brachte ihn zur Verzweiflung, er brannte vor Verlangen, sich wieder in dem kleinen, hellen, von Wohlgerüchen erfüllten Hause zu befinden, um Anteil zu nehmen an dem hohen Feste der Ankunft eines neuen Wesens, das von so viel Schmerzen und so viel Freude begleitet war, an dem ewigen Hoheliede der Menschheit.
    Als er anlangte, war er überrascht von dem fröhlichen Aussehen des kleinen Hauses. Die Sonne glänzte überall. Auf dem Treppenabsatz befand sich ein Rosenbukett, welches man aus dem Zimmer der Wöchnerin entfernt hatte, und welches die Treppe mit Duft erfüllte. Und als er das Zimmer betrat, fielen seine Augen auf weißes Linnen, einen Reichtum schneeiger Wäsche, die auf den besonnten Möbeln ausgebreitet war. Ein halboffenes Fenster ließ den vorzeitigen Frühling hereinströmen.
    Aber er bemerkte sofort, daß die Wärterin allein war. »Wie, Doktor Boutan ist noch nicht da?«
    »Nein, Monsieur, niemand ist gekommen. – Madame leidet sehr.«
    Mathieu war zu Marianne geeilt, die, sehr bleich und mit geschlossenen Augen daliegend, tatsächlich von heftigen Schmerzen erfaßt zu sein schien. Er geriet in Erregung und erklärte ihr, daß der Doktor schon vor mehr als zwei Stunden ihm versprochen hatte, sogleich herzueilen.
    »Und ich lasse dich so lange allein, mein teures Kind! Ich glaubte bestimmt, daß er bei dir sei. Madame Séguin ist

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