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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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ihnen verlangten konnte, immer und überall erreichbar zu sein. Preising war sowieso erstaunt, dass in diesen Tagen der Londoner Finanzplatz fünfzig junge Talente entbehren konnte. Aber vielleicht, dachte er, war ohnehin nichts mehr zu retten, und so hatten sie sich hierher selbst gerettet. Eine Vorstellung, die Preising recht amüsant fand und mit der er Pippa zu erheitern schien, ihr aber auch ein verächtliches Schnauben entlockte, welches er einen erschreckten Augenblick auf sich selbst bezog, bevor er erleichtert begriff, dass es der Bagage am südlichen Ende des Pools galt.
    Am nördlichen Ende, so drückte es Pippa aus, begann das soziale Gefälle. Dorthin hatten sich Kellys ebenfalls geladene Geschwister mit ihren Kindern zurückgezogen, die in schreiend bunten Badehosen unermüdlich in den Pool sprangen und wieder hinauskletterten, um unter lautem Kreischen und Johlen abermals hineinzuspringen, und mit ihrem Spritzen die Mütter am Beckenrand ärgerten, deren Frauenzeitschriften schon ganz wellig waren. Kellys Bruder Willy, mit seiner von der tunesischen Sonne geröteten Brust, hatte sich nach ein paar erfolglosen Fraternisierungsversuchen mit den Cityboys in einen großen gelben Schwimmring zurückgezogen, in dem er sich mithilfe einiger Flaschen Heineken darüber klar zu werden versuchte, wie er sich nun fühlen sollte, angesichts des ihn umgebenden Luxus, den er ganz seiner Schwester und seinem neuen Schwager zu verdanken hatte und den er selbst seiner Familie nie würde bieten können. Den ersten Tag hatte er mit einem kräftigen Gefühl der Verachtung über die Runde gebracht. Darauf folgte eine verordnete Gelassenheit. Different world, dachte er. Even a different planet. Planet der Affen. Er fand sie affig, die jungen Leute am anderen Ende des Pools. The young ones, nannte er sie für sich. Obschon sie doch alle in seinem Alter waren. Aber was wussten sie schon von der richtigen Welt. Er hatte drei Kinder zu versorgen. Und er mochte seine Badehosen mit den Tattoomotiven.
    «Mein Mann», sagte Pippa, «war nur ein Mal am Pool. Gerade lange genug, um die These aufzustellen, in dieser Generation ließen sich die Einkommensverhältnisse an den Farben der Badebekleidung ablesen.» Je gedeckter die Farben, desto gedeckter der Scheck, hatte er gesagt. «Sanford ist Soziologe», fügte sie entschuldigend hinzu. Eigentlich hatte Pippa gehofft, sie würde sich hier etwas mit Kellys Eltern anfreunden, die sie kaum kannte. Aber Mary und Kenneth Ibbotson hatten den Klimawechsel von Liverpool nach Tschub oder vom Dasein als Betriebsrat einer Werkzeugfabrik und Hausfrau zum Dasein als Brauteltern einer Zweihundertfünfzigtausend-Pfund-Hochzeit nur schlecht verkraftet und hielten sich vornehmlich in ihrem klimatisierten Zelt auf.
    «Es war», so machte es mir Preising deutlich, «ganz offensichtlich, dass Pippa unzufrieden war. Unzufrieden mit der Berufswahl ihres Sohnes, mit seinem Umgang, mit dem Umstand, dass diese Hochzeit in einem tunesischen Luxusresort stattfinden musste. Doch sie ertrug diese Unzufriedenheit mit einer heiteren Gelassenheit, die ihrem freundlichen Wesen und ihrem scharfen Verstand entsprach. Ich kam aber doch nicht umhin, den Gepflogenheiten zu entsprechen und sie zur Hochzeit ihres Sohnes zu beglückwünschen. Sie dankte es mir mit einem kurzen ironischen Lachen.»
    «Ich war es selbst», fuhr er fort, «der die frohe Stimmung ruinierte, indem ich sie fragte, ob Marc ihr einziges Kind sei oder ob sie solche Hochzeitsveranstaltungen schon des Öfteren habe hinter sich bringen müssen.
    Nein, antwortete sie, Marc sei ihr einziges Kind, zumindest das einzige, welches übrig geblieben sei. Ihre ältere Tochter Laura sei vor drei Jahren verstorben. Unweit des Nordkaps, im Bauch eines Hurtigrutenschiffes, auf welchem sie als Bibliothekarin gearbeitet habe. Verbrannt, sagte Pippa, zusammen mit ein paar Hundert skandinavischen Kriminalromanen und einer Gesamtausgabe von Stendhal, die an einem defekten Heizlüfter Feuer fing.
    Die Art und Weise, wie sie vom Tod ihrer Tochter sprach, überraschte mich. Als würde sie am Tresen eine Geschichte zum Besten geben, wie sie zu einer besonders eindrücklichen Narbe gekommen war oder ein Fingerglied verloren hatte. Aber vielleicht war es das. Vergleichbar mit dem Verlust eines Körperteils, einer Amputation als Folge eines grotesken Unfalls. Für jemanden wie mich, der nie welche hatte», sagte Preising, «ist es schwer vorstellbar, was der Verlust eines

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