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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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Kindes bedeutet.»
    Er blieb vor einer kleinen Bank an der gelben Mauer stehen. «Du hingegen», sagte er, ohne mich anzublicken, «weißt ja, was es bedeutet.» Nein, das wusste ich nicht. Preising irrte sich. Nur weil man etwas erlebt hatte, hieß das noch lange nicht, dass man wusste, was es bedeutete. Und ich hatte nicht vor, es in Erfahrung zu bringen. Es gibt Dinge, die so sinnlos sind, dass es sich nicht lohnt, ihnen eine Bedeutung zu geben. Preising setzte sich auf die Bank, die Füße nebeneinander in den Kies gestellt, die Hände auf den Knien. Er gab mir Zeit, mich auszusprechen. Darauf konnte er lange warten. Ich hatte nicht das geringste Bedürfnis danach. «Bitte», sagte ich und zog mir einen der gusseisernen Gartenstühle her, «deine Geschichte.»
    Er sah mich sorgenvoll an und fuhr fort: «Für Pippa war es schwer, sich vorzustellen, welcher Gruppe sich ihre Tochter angeschlossen hätte. Vermutlich würde Laura den ganzen Tag hier oben sitzen, sagte sie. Aber wahrscheinlich hätten sie sie kaum zum Mitkommen bewegen können. Laura mochte wohl keine warmen Länder, und sie mochte keine großen Gesellschaften, eigentlich auch keine kleinen. Sie machte sich nicht viel aus Gesellschaft. Umso erstaunter waren ihre Eltern, als sie ihnen mitteilte, sie habe auf einem Schiff als Bibliothekarin angeheuert und würde ein Jahr lang die Hurtigruten rauf und runter fahren. Und Laura, so sagte Pippa, hatte für die Berufswahl ihres Bruders nicht das geringste Verständnis. Sie mochte keine Leute, die sich zu viel mit Geld abgaben.
    Das erschien mir alles in allem eine sehr interessante Beschreibung einer jungen Frau, und ich konnte mir Laura gut als ihre Tochter vorstellen. «Ich hatte», sagte Preising, «das Gefühl, Pippa spreche gerne über ihre Tochter, und dieser Umstand ermutigte mich zur Nachfrage. Es sei ja gemeinhin für junge Leute leichter zu wissen, was sie nicht mögen, sagte ich, so zumindest sei es mir als junger Mensch vorgekommen, als zu wissen, was man möge. Ob sie, Laura, gewusst habe, was sie möge? O ja, allerdings, antwortete Pippa, kalte Länder, schlechtes Wetter, Bücher von Sebald, schwierige Männer. Sie lachte.»
    Danach, so behauptete er zumindest, hätten sie eine geraume Weile geschwiegen. Es war Pippa, die das Gespräch wieder aufnahm und eine geistreiche Bemerkung, an die sich Preising allerdings nicht mehr im Detail erinnerte, aber er war sich sicher, dass sie sehr geistreich gewesen sei, über die Schwierigkeit des Hochzeitsfestes an sich machte. Es sei eine schwierige Feier, zumal man nicht religiös sei und deswegen die Möglichkeit, den Bund vor Gott zu schließen, mit all den tradierten Ritualen, wegfalle, fuhr sie fort. Preising pflichtete bei. Er selbst habe ja leider nie die Gelegenheit gehabt zu heiraten. Zumindest habe er sich nie zu diesem Schritt entschließen können; eine Beschreibung, die der Sache mit Sicherheit viel näher kam.
    Preising erheiterte Pippa mit einigen Hochzeitsgeschichten aus seinem Bekanntenkreis, und sie revanchierte sich mit einer lebhaften Schilderung ihrer eigenen Hochzeit. Wie sie und Sanford sich damals, aus dem dringenden Bedürfnis, der Veranstaltung jeglichen Verdacht der Bürgerlichkeit von vornherein auszutreiben, entschieden hatten, ihre Hochzeit in einem Gemeindezentrum in Loughborough Estate, einer Sozialsiedlung in Brixton, zu feiern. Einem, zu jener Zeit zwar erst zehn Jahre alten, aber dennoch bereits bröckelnden, Betonpavillon im Schatten gigantischer Wohnblöcke, in dem es nach Pisse und getragenen Kleidern roch. Einem Raum, von dem die Stadtplaner angenommen hatten, er würde, mit seinen farbenfroh gestrichenen Wänden, dereinst das Zentrum einer lebendigen, multikulturellen Stadt mit abendlichen Sommerfesten werden, bei denen die Bewohner der Hochhäuser sich gegenseitig mit pakistanischen, karibischen, ghanaischen und irischen Speisen bewirteten, der aber nie zu etwas anderem gedient hatte, als gelegentlichen Gruppenvergewaltigungen jugendlicher Banden einen Raum zu bieten und immer am ersten Dienstag des Monats die Kleiderverteilung der Heilsarmee zu beherbergen. Die Bewohner der Türme, fassungslos, dass jemand seine Hochzeit in diesem Ambiente feierte, gingen kopfschüttelnd vorbei. Kleine dunkelhäutige Jungs auf Fahrrädern drückten sich die Nasen an der Scheibe platt und starrten die ausgelassen Tanzenden an. Ein eigens angeheuerter tibetanischer Koch versuchte sein Tsampa und Buttertee unter die Hochzeitsgäste zu

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