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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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bringen, die sich aber lieber an das reichlich zur Verfügung stehende Bier hielten und alle sehr bald recht betrunken waren, weil es außer dem Tsampa nichts zu essen gab und die Solidarität mit dem tibetischen Volk so weit dann doch nicht ging. Es hatte den Vorteil, sagte Pippa, dass wir bald mit unseren Freunden unter uns waren, denn unsere Verwandten, die Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel verließen das Fest noch vor Anbruch der Dunkelheit, weil sie, nicht ganz zu Unrecht, fürchteten, auf dem Weg zum Auto abgestochen und ausgeraubt zu werden.
    Preising hatte es sich nun mittlerweile auf der Bank bequem gemacht. Ich wäre gerne weitergegangen, aber er hatte ja recht. Wohin sollten wir denn gehen? Weiter an der gelben Mauer entlang bis zu deren Ende, an dem uns der Pförtner misstrauisch aus seinem Glaskasten heraus beäugen würde? Und dann, zurück bis zum anderen Ende oder über den geharkten Kiesweg, an den Rosenbüschen mit den glänzenden Hagebutten entlang, am Springbrunnen vorbei, nur, um wieder an der gelben Umfriedung zu landen? Zudem kam er sitzend in seiner Geschichte besser vorwärts, denn er brauchte nicht dauernd bedeutungsschwer stehen zu bleiben und mit melancholischen Blicken in die Ferne zu schauen, die für uns sowieso unerreichbar hinter der hohen Mauer verborgen war. Also ließ ich ihn sitzen und scharrte mit meinen Stuhlbeinen im Kies, bis der Stuhl nicht mehr wackelte. Preising war aus einem seiner Slipper geschlüpft und hatte sich den zitronengelb bestrumpften Fuß, den er nun ausgiebig rieb, aufs Knie gelegt, wobei er ein, für seine Verhältnisse, fast schon obszön breites Stück seines blassen Schienbeines präsentierte, von dem ich meinen Blick nur schwer lösen konnte.
    Seine Ferse massierend, fuhr er fort: «Wir hatten viel zu lachen, Pippa und ich, da ich das Gefühl hatte, mich für die freimütige und selbstironische Schilderung ihrer Hochzeit revanchieren zu müssen, und ihr deswegen die Geschichte mit meiner Jurte in Biarritz erzählte. Du kennst doch die Geschichte, nicht?» Er sah mich prüfend an. Ja, das tat ich, versicherte ich ihm, die Jurte in Biarritz und das Kammerorchester. Ich würde sie für immer in Erinnerung behalten. «Pippa amüsierte sich jedenfalls sehr, und ich erlaubte mir die Bemerkung, es sei doch in unserem Alter sehr, angenehm, mit welchem Gefühl der gnädigen Ferne man auf seine Jugendsünden zurückblicken könne. In unserem Alter, sagte sie, in einem Anflug von Koketterie. Davon könne doch wohl bei mir keine Rede sein, so jung geblieben, wie ich sei. Ich nahm das Kompliment dankend an und retournierte es leichterhand. Es schien auch sie zu freuen.
    Pippa lenkte das Thema wieder auf die Literatur, sie besaß faszinierend tiefe Einblicke in die arabische Literatur. Ich hörte ihr gefesselt zu, wie sie von der oralen Tradition, von Mohamed Choukri und wie sie alle hießen und von Paul Bowles in Tanger erzählte, der die Geschichten einiger dieser Autoren auf Tonband aufgezeichnet und aufgeschrieben hatte und dabei Haschischmarmelade aus einem Topf naschte. Und bald schon tranken wir wie alte Bekannte aus einem gemeinsamen Glas, denn ich hatte es versäumt, mir ein eigenes mitzubringen.»
    Preisings Tête-à-Tête mit der interessanten Engländerin wurde jäh unterbrochen, als Sanford, Pippas Mann, mit federnden Schritten die Stufen zur Terrasse des Beys heraufgerannt kam. Das plötzliche Auftauchen des sehnigen Mannes im weißen Hemd und Kakishorts ließ Preising von seinem Lager aufschnellen, was, wie ihm im selben Moment einfiel, aussah, als hätte er sich gerade in einer kompromittierenden Lage befunden, aber es war ein Reflex, der dem Umstand geschuldet war, dass Preising einstmals einen Soziologen, oder war es ein Ethnologe, er war sich nicht mehr sicher, gekannt hatte, dessen scharfe Zunge er mehr fürchtete als die ballonseidenen jungen Männer, die gegenüber dem Prixxing -Verwaltungsbau in einem Keller einem Sport namens Ultimate Street Fight nachgingen.
    Seine Sorge war aber gänzlich unbegründet. Sanford war dankbar, dass seine Frau einen Gesprächspartner gefunden hatte. Das entlastete sein schlechtes Gewissen, weil er sie den ganzen Tag alleine gelassen hatte, um die Ruinen einer alten Wüstenfestung zu besuchen. Man wechselte einige höfliche Worte, der Engländer berichtete enthusiastisch von seiner Exkursion und lud Preising sogleich ein, ihn am nächsten Tag auf eine weitere zu begleiten; ‹and of course, I still hope, you

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