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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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Frau zu, die ihm gegenübersaß und sich weit über den Tisch zu ihm hinüberlehnte, ihre Erzählung mit scharf die Luft zerschneidenden Gesten untermalend. Selbst von meiner Warte war es augenfällig, wie unziemlich tief sie sich dabei in ihr kleines Schwarzes blicken ließ. Vermutlich die Porschefahrerin.
    Saida betrat den Speisesaal, fragte im Vorübergehen an diesem und jenem Tisch nach dem Rechten, begrüßte persönlich das Brautpaar und entschuldigte sich bei mir formvollendet für ihr spätes Erscheinen. Unser Essen war, wie soll ich sagen, also das Essen an sich war vorzüglich, aber es erinnerte mich unangenehm an die Stunde, die mich Moncef Daghfous in der Obhut seiner Töchter gelassen hatte, um dem Feuer in seiner Phosphatfabrik mit einer Schaufel und einem Eimer Sand entgegenzutreten. Es war nicht Saidas Fehler, sie gab sich alle Mühe, aber es lag doch irgendwie auf der gestärkten Damastdecke zwischen uns, dass dieses gemeinsame Essen Teil eines Auftrages war, den sie von ihrem Vater erhalten hatte. Ich bemühte mich um leichte Themen. Wir sprachen eine Weile über Paris, wo sie studiert hatte. Du weißt doch, dass ich in meiner Jugend in Paris einige Zeit Gesang studiert habe. Also erzählte ich ihr von den wilden Zeiten in Paris, aber Saida war eine ernsthafte junge Frau, die sich nicht für wilde Zeiten interessierte. Sie mochte den Genfer See, an dessen Ufer sie eine berühmte Schweizer Hoteliersschule besucht hatte, also sprach ich von Nabokov, den sie nicht kannte, und von Nabokovs Schmetterlingen, doch sie schien sich auch aus Schmetterlingen nichts zu machen. Ich empfahl mich so bald wie möglich, der Tag sei ereignisreich gewesen und ich entsprechend erschöpft.»

III
    «Am nächsten Morgen stand ich zeitig auf, wie immer, du kennst ja meine Gewohnheiten. Und wenn ich ein Frühstücksbuffet befürchte, dann stehe ich noch etwas früher auf. Die Kühle der Wüstennacht hing noch in der Morgenluft. Ich fand Sanford ganz alleine an einem Tisch sitzend, mit Tee und pochierten Eiern ausgestattet. Das wird kein gutes Ende nehmen, prophezeite er über den Rand einer englischen Zeitung vom Vortag hinweg. Diese Kinder … Sie werden uns alle in den Abgrund reißen, und Jenny wird sich das Benzin für ihren Porsche nicht mehr leisten können. Sanford tropfte Eigelb auf den Tumult im idyllischen Ilfracombe und schüttelte besorgt den Kopf. Er sei, sagte er, fest entschlossen, heute die letzten Überreste der Vielkammerbauten der Berberstämme zu besuchen. Ob ich ihn begleiten wolle?»
    Preising zögerte und entzog sich mit interessierter Nachfrage nach dem Charakter dieser geheimnisvollen Plätze einer sofortigen Zusage. Ins Erdreich gegrabene Wohnschächte, nur durch lange Tunnel zugänglich, jahrhundertealt und kaum erforscht. Alles am Einstürzen. Sozusagen letzte Gelegenheit, in einigen Jahren vom Erdboden verschluckt, schwärmte Sanford.
    Preisings Begeisterung sank. Das klang ihm zu sehr nach Unberechenbarkeiten, nach Abenteuer, und er, der meinte, einen Blick für so etwas zu haben, glaubte, hinter Sanfords kultivierter Akademikerfassade verberge sich Waghalsigkeit und eine Tendenz zu spontanen, nicht reiflich überlegten Entscheidungen. Das machte ihm Sorgen. «Kommen Sie», versuchte Sanford, ihn zu überzeugen, «das wird ein Abenteuer.» Ja, ebendrum, dachte sich Preising. Andererseits, was wusste er schon, was sich ein englischer Soziologieprofessor unter einem Abenteuer vorstellte. Vielleicht war das genau die Sorte Abenteuer, die auch für ihn, Preising, die richtige war. Mehr in Richtung intellektuelles Abenteuer. Das mutige Durchschreiten von hermeneutischem Neuland. Aber wozu dann die vielen Taschen an Sanfords Hose? So was brauchte kein Mensch, wenn er nur vorhatte, seinen Geist aus dem Geländewagen heraus ins Fremde zu schicken.
    Seine Abwägungen wurden von der gut gelaunten Saida unterbrochen, die sich am Buffet eine Tasse Kaffee holte und Sanford nach seinem Befinden an diesem wichtigen Tag fragte. An diesem Abend sollte Marc und Kellys großes Hochzeitsfest stattfinden. Sanford gab sich unbeeindruckt, unterrichtete stattdessen Saida davon, dass er sich in Begleitung von Preising auf die Suche nach den letzten Mehrkammerbauten machen würde. Saida setzte eine sorgenvolle Miene auf. Sie werde ihnen Rachid als Begleitung mitgeben. Sanford lehnte ab, Saida insistierte, er reagierte trotzig. Er sei die letzten drei Tage alleine durch die Gegend gefahren, außerdem habe er gutes

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