Frühling, Freunde, freche Fohlen
Arbeitstag. Als Bille herantrat, hob er kaum den Kopf. Warum ließ sie auch zu, daß man so etwas mit ihm anstellte!
„Das ist er also. Der sieht ja wirklich erbarmungswürdig aus!“ sagte Bille und klopfte dem fremden Pony den Hals. „Du lieber Himmel, der ist ja völlig verdreckt! Ich habe in meinem Leben noch kein so schmutziges Pferd gesehen!“
„Deswegen sollte er ja auch geschlachtet werden“, sagte Timo treuherzig. „Weil keiner da war, der ihn gepflegt hat.“ In diesem Augenblick hob das fremde Pony den Kopf und schnupperte. Es spitzte die Lippen, zog Bille mit unglaublicher Geschicklichkeit eine Tüte Bonbons aus der Tasche, ließ sie auf den Boden fallen, faßte mit den Zähnen vorsichtig den äußersten Zipfel und hob die Tüte an, so daß die Bonbons auf den Boden fielen; dann machte er sich darüber her. Bille ging schlagartig ein Licht auf. Aber sie ließ sich nichts anmerken.
„Es kann einem wirklich das Herz brechen, wenn man ihn so sieht. Halbverhungert auch noch! Ich denke, ich werde ihn nehmen. Bevor ich mich entscheide, möchte ich ihn allerdings gewaschen sehen. Kommt mit, ich zeige euch, wo ihr warmes Wasser und ein mildes Shampoo findet . Damit seift ihr ihn sorgfältig ein — aber Vorsicht, daß ihm nichts in Augen und Nase kommt! — , und dann spült ihr ihn vorsichtig und gründlich mit dem Schlauch ab. Danach rubbelt ihr ihn trocken und striegelt ihn anschließend ordentlich. Ach ja, und wenn ihr schon dabei seid, könnt ihr ihm auch gleich Schweif und Mähne verziehen und die Hufe fetten. Ich schaue ihn mir an, wenn ihr fertig seid, und wenn er mir dann gefällt, nehme ich ihn mit nach Hause.“
Oliver, Timo, Caroline und Christine sahen sich mit langen Gesichtern an.
„Noch irgendwelche Fragen? Okay, dann bis später. Komm, Oliver, ich zeige euch, wo ihr ihn waschen könnt. Und so etwas macht ihr bitte nie wieder. Zottel ist kein Spielzeug, sondern ein lebendes Wesen! Das war kein guter Scherz!“
Frühlingserwachen
So sauber war Zottel noch nie in seinen Stall heimgekehrt wie an diesem Tag»Natürlich blieb er es nicht lange. Denn seinem schlechten Ruf zum Trotz zeigte sich der April von seiner besten Seite; eine fast sommerlich warme Sonne ließ das Gras auf den Koppeln üppig sprießen, und wer nicht zum Arbeiten in die Reithalle mußte, durfte sich draußen tummeln. So marschierte Zottel jeden Tag mit den Jungpferden auf eine der ausgedehnten Weiden und mußte nicht mehr auf der kleinen Koppel hinter dem alten Pferdestall auf Bille warten.
Die Weideplätze wurden täglich gewechselt, da das Gras so früh im Jahr immer wieder Zeit brauchte, um sich zu erholen. Zottel tollte wie ein Dreijähriger mit den Jungpferden herum und wälzte sich zwischendurch genießerisch, und Bille bedauerte insgeheim, daß sie keinen Grund hatte, Mini und ihre Freunde zum Putzen ihres Ponys abzukommandieren; denn Zottel von Grasflecken und angetrockneten Erdresten zu reinigen, war immer wieder eine mühsame Prozedur. Doch der Club der Zottel-Freunde machte um sein Idol seit dem ersten April einen auffallend großen Bogen.
An diesem Sonntag befanden sich Zottel und seine jüngeren Genossen auf der vom Gutshof am weitesten entfernten
Koppel, die im Westen hinter dem Wald lag. Zottel hatte sich als gutes Leitpferd erwiesen. Die Jungpferde folgten ihm willig, wenn es morgens aus dem Stall ins Freie ging; so genügte es, wenn Bille mit ihm vorausritt und Hubert oder der alte Petersen als Schlußlicht der kleinen Herde folgten und aufpaßten, daß keiner zurückblieb.
Es war Mittag vorbei; Zottel hatte sich gerade eine kleine Schlafpause gegönnt, als ein vollbeladener Bus am anderen Ende der Koppel die schmale Straße zum Wald entlangrumpelte. Fenster und Lüftungsklappen des Fahrzeugs schienen geöffnet zu sein, denn man hörte vielstimmigen Gesang und lautes Lachen. Zottels Neugierde war geweckt, er setzte sich in einen mäßig beschleunigten Zockeltrab, die aufmerksam gewordene Herde folgte ihm gehorsam.
Als sie am Ende der Koppel angekommen waren, war der Bus längst verschwunden. Nur eine sanft zu Boden sinkende Staubwolke erinnerte an das vollbesetzte Gefährt. Zottel trat dicht an den Koppelzaun heran und schaute in die Richtung, in die der Bus gefahren war — zum Waldcafé , das am heutigen Sonntag nach langer Winterpause wiedereröffnet wurde. Waldcafé, das bedeutete Kuchen, Zucker, Musik, lachende Menschen, die einen verwöhnten und streichelten. Waldcafé, das war fast so
Weitere Kostenlose Bücher