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Frühling, Freunde, freche Fohlen

Frühling, Freunde, freche Fohlen

Titel: Frühling, Freunde, freche Fohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Caspari
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oder Drohungen, wieder andere beschränkten sich darauf, ihre Handtaschen wie Schutzschilde vor sich zu halten, was wegen der mangelnden Größe von geringer Wirkung war; denn hielten sie sich die Tasche vors Gesicht, knabberte etwas in Nähe der Gürtellinie, preßten sie sie vor den Bauch, traf das feuchtwarme Pferdemaul Gesicht oder Hals.
    In dieser kritischen Situation besann sich Lilian Masurska auf ihre Pflichten als Alleinunterhalterin. Sie gab dem Akkordeonspieler, der hinter ihr auf einen Stuhl geflüchtet war, ein Zeichen und begann zu singen. „Frühling in Wien, Frühling in Wien...“
    „Los, alle mitsingen, vielleicht verscheucht sie das!“ rief das pensionierte Fräulein Müller, früher Lehrerin, und hakte sich bei den neben ihr Stehenden ein. „Frühling in Wien...“
    Eifrig faßten die Damen einander bei den Armen und begannen zu schunkeln. Im Chor übertönten sie Lilian Masurska , und wer den Text nicht beherrschte, behalf sich mit Lalalala . Die Pferde schauten verwirrt. Das wankte und schwankte vor ihren Augen, als befänden sie sich auf hoher See. Und unangenehm laut war es geworden — da hielt man besser Abstand. Eins nach dem anderen trat den Rückzug an.
    Die ins Haus Geflüchteten hatten inzwischen den Wirt alarmiert und dieser die Polizei. Wachtmeister Bode und seine Polizisten überblickten die Situation sofort: Die Pferde konnten nur aus Groß-Willmsdorf entkommen sein, und man gab die Nachricht sofort weiter. Immerhin forderte es die Aufsichtspflicht, sich persönlich ein Bild des Geschehens zu machen, und so schwangen sich Wachtmeister Bode und ein anderer Beamter in ihren Wagen und fuhren dem Wald zu. In Groß-Willmsdorf brachten Bille, Tom und Simon einen Blitzstart zustande und galoppierten zum Tatort.
    Dort begann sich das Blatt zu wenden.
    „Die Pferde treten den Rückzug an!“ raunte das alte Fräulein Schmidt ihren Reisegenossinnen zu. „Der Weg ins Haus ist frei. Nur nicht so auffällig und alle auf einmal losrennen, sonst kommen sie zurück und schneiden uns wieder den Weg ab!“
    So verkrümelte sich auf Zehenspitzen und ängstlich geduckt eine Dame nach der anderen und verschwand im Innern des Hauses. Die übrigen schunkelten weiter und sangen mit Lilian Masurska um die Wette, bis nur noch das alte Fräulein Schmidt mit ihrem Piepsstimmchen übrig war. Singend tänzelte sie dem Haus zu, den Blick nicht von den Pferden wendend, um auf einen plötzlichen Angriff gefaßt zu sein.
    Die Pferde interessierten sich allerdings längst nicht mehr für die Gesellschaft. Sie hatten sich auf Zottel, ihr Leittier, besonnen, der — abgesondert von der übrigen Herde — seinen eigenen Neigungen nachging. Er trabte von Tisch zu Tisch und vertilgte, was die Damen bei ihrem plötzlichen Aufbruch übriggelassen hatten.

    Erst jetzt begriffen seine jüngeren Genossen, daß sie die wahre Attraktion dieses Ausflugs offenbar bisher übersehen hatten. Hier gab es einiges nachzuholen, und so drängten sie jetzt ebenfalls zu den Resten der Kaffeetafel und probierten Obsttorten, Windbeutel, Zuckerschnecken und Bisquitroulade , vergaßen auch nicht die reichlich zum Gebrauch aufgestellten Schälchen mit Zuckerstücken. Santorin unterzog nebenbei den Gabentisch der Firma Bruhnsen & Co. einer eingehenden Prüfung, fand aber nichts, was seinem Geschmack entsprach, und beförderte ärgerlich einiges auf den Boden.
    Wachtmeister Bode, der eine beträchtliche Strecke hatte fahren müssen, und die Groß- Willmsdorfer kamen zugleich am Ort des Geschehens an — der eine von rechts, die anderen von links. Und staunend verharrten sie am Rande der Lichtung und starrten auf das ungewöhnliche Bild, das sich ihnen bot: eine Herde Jungpferde friedlich um eine Kaffeetafel versammelt, die malmenden Mäuler auf Kuchenteller und Zuckerschälchen gesenkt, in der Mitte auf einem Podium eine ratlose Sängerin, begleitet von einem ebenso ratlosen Akkordeonspieler, der schräg hinter ihr auf einem Stuhl stand, und an den Fenstern des Waldcafés innen drei Dutzend ältere Damen mit plattgedrückten Nasen und gespannten Gesichtern.
    Bille, Simon, Tom, Wachtmeister Bode und sein Assistent applaudierten. Lilian Masurska erwachte aus ihrer Sängerseligkeit und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Die Damen hinter den Fenstern winkten lachend mit Servietten und Taschentüchern. Der Wirt stürzte sich wütend auf die Reiter, was die Jungpferde augenblicklich von den Tischen vertrieb. Auf die Idee, daß er dies auch

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