Frühling, Freunde, freche Fohlen
klang, als lache er herzlich über den zappelnden Mann auf dem Podium. Dann entdeckte er nicht weit entfernt auf dem Tisch vor sich eine üppige Cremeschnitte. Zottel schritt näher, bog seinen Hals über die Schulter der vor ihm sitzenden Dame über den Tisch und schnappte sich den Kuchen.
„ Huach !“ schrie die Dame.
Zottel stand mit verinnerlichtem Blick neben ihr und malmte, ein Bild der Zufriedenheit. Die übrigen Damen lachten schüchtern. Da Zottels junge Kollegen sich in einigem Abstand über das saftige Gras der Waldlichtung hergemacht hatten, fürchtete man nichts Schlimmes.
„Ein nettes Tier“, sagte die Dame gegenüber, die sich sicher fühlte, weil der Tisch zwischen ihr und Zottel stand. „Sicher mag er ein Stück Zucker.“
Zottel mochte. Zottel mochte sogar den ganzen Inhalt der Zuckerdose. Um den Damen keine Umstände zu machen, entschloß er sich zur Selbstbedienung. Die Damen lachten.
„Solange sie noch lachen, ist alles in Ordnung“, murmelte Herr Charly und gab seinem hinter der Tür stehenden Star ein Zeichen, noch ein wenig zu warten.
Lilian Masurska konnte von ihrem Standort aus nicht sehen, was draußen geschehen war. Sie mißverstand Herrn Charlys Geste, atmete tief ein, straffte Schultern und Busen und setzte ihr schönstes Showstarlächeln auf. Dann stürmte sie im Laufschritt zum Podium, die Arme weit ausgebreitet, in ihrem Fahrwasser der Akkordeonspieler, der die Aufgabe hatte, ihre Lieder zu begleiten.
Was Lilian Masurska zunächst sah, waren Hinterköpfe. Nicht erwartungsfroh ihr zugewandte Gesichter, sondern Rückenansichten von Leuten, deren Aufmerksamkeit offensichtlich von einer anderen Attraktion gefesselt war. Und dann sah Lilian Masurska die Pferde. Was sie nicht sah, war, daß Pferde und Publikum keineswegs, wie sie annahm, durch einen Zaun voneinander getrennt waren. Also konnte es ihrer Meinung nach nur darum gehen, die Aufmerksamkeit der Damen auf sich zu lenken.
„Einen Tusch!“ flüsterte sie dem Akkordeonspieler zu.
Der Akkordeonspieler griff in die Tasten. Lilian Masurska frischte ihr Starlächeln auf und nahm noch einmal Schwung.
„Meine Freunde!“ rief sie über die Köpfe hinweg und breitete die Arme aus.
Die Köpfe der Damen fuhren herum. Die Köpfe der Pferde ebenfalls. Galt das ihnen? Ihre Neugierde war geweckt, sie kamen näher. Die Damen schrien auf und wichen in Richtung Podium zurück. Die Pferde beschleunigten ihre Schritte.
Die Damen riefen nach Herrn Charly.
Herr Charly rief nach dem Wirt.
Der Wirt sah und hörte nichts, denn er stand im Keller und ordnete Weinflaschen in die Regale. Das Personal hatte sich zu einer kleinen Pause zurückgezogen, der Auftritt Lilian Masurskas interessierte sie weniger als Kaffee und Kuchen und der Klare, den der Koch zur Feier der Wiedereröffnung ausgegeben hatte. Nur hin und wieder reckte eine der Kellnerinnen den Hals und erwischte einen halben Blick auf das Podium.
Die Kaffeegäste hatten sich in geschlossener Front vor den anrückenden Vierbeinern zurückgezogen. Und je ängstlicher sie zurückwichen, desto neugieriger folgten ihnen die Pferde. Irina, die kleine Rappstute, zwickte übermütig die dicke Frau Heuer in den buntgeblümten Po. Die kleine Frau Hoffmann fühlte Santorins samtweiche Lippen im Genick und kriegte eine Gänsehaut bis in die Kniekehlen.
Über allem schwang der Showstar Lilian Masurska die Arme und streute lebensfrohe Lachtriller in die Runde.
Herr Charly hatte rückwärts die Tür erreicht und gab nun aus dieser sicheren Position heraus seine Anweisungen.
„Meine Damen! Meine Damen!“ Seine Stimme kippte über vor Erregung. „Meine Damen, ich empfehle, sich vorübergehend ins Innere des Cafés zurückzuziehen und abzuwarten, bis der Wirt die Ausreißer wieder in ihren Stall gebracht hat. Bitte, gnädige Frau, hier entlang, hier, kommen Sie, Gnädigste, dort rechts hinein. Kommen Sie nur, die Pferde tun Ihnen nichts, kommen Sie hier herein!“
Vier der Damen hatten das rettende Ufer erreicht, die übrigen standen immer noch dicht um das Podium gedrängt und versuchten sich der neugierigen Vierbeiner zu erwehren, die schnuppernd, knabbernd, Köpfe reibend mal der einen, mal der anderen zu Leibe rückten in Erwartung irgendwelcher Leckereien oder doch zumindest Zärtlichkeiten.
Mehr oder weniger mutig bemühten sich die Damen, ihrer Verfolger Herr zu werden. Einige wagten ein Tätscheln des Pferdehalses, ein flüchtiges Streicheln, andere versuchten es mit Argumenten
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