Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
zu, der ihr in die Quere kam, machte eine überschwängliche Verbeugung und fragte spöttisch: „Entschuldigen Sie, Sir. Es ist unübersehbar, dass Sie gerade vollauf mit dem Herumstehen in diesem Wald beschäftigt sind. Besäßen Sie bitte dennoch die Güte, mir mitzuteilen, wo ich hier einen überaus netten Baum finden könnte?“
Während Arrow aus ihrer Verbeugung wieder hoch schaute, erstarrte sie. Aus dem Baum ragte ein hölzerner männlicher Oberkörper heraus, der sie tatsächlich ziemlich freundlich betrachtete.
Sie schluckte. Ihr Benehmen war ihr jetzt peinlich und sie fühlte, wie sich die Schamesröte in ihrem Gesicht ausbreitete. Und als sie endlich einen Blick um sich herum wagte, da sah Arrow sie – Dryaden ... Für jeden Baum einen Geist. Zu hunderten beobachteten sie Arrow. Einige saßen auf den Ästen, andere standen neben ihrem Baum und wieder andere waren mit ihren Bäumen derart verschmolzen, dass man gerade so ein Gesicht in den Stämmen erkennen konnte.
„Ihr seid das Volk der Baumgeister“, murmelte Arrow mit leuchtenden Augen.
Vor einigen Jahren hatte sie über die Dryaden gelesen. Was sie damals in ihren Büchern gefunden hatte, war nur ein kleiner Abschnitt mit einer wundersamen Abbildung daneben gewesen. Allerdings war dort nur nachzulesen gewesen, dass die Dryaden mit ihrem Baum verbunden sind und – ähnlich wie die Perseiden der Nyriden – Empfindungen und Gedanken teilen. Sie werden zusammen alt und sterben irgendwann auch gemeinsam.
Der Verfasser des Textes hatte sie als überaus freundliche Wesen beschrieben und als Darstellung eine Frau skizziert, deren Haut aus Eichenrinde bestanden hatte. Lange Zweige, die in die Höhe ragten, hatten ihr Haar gebildet und ähnlich wie bei der Grünen Lady war auch ihr Leib mit Blättern und Schlingen bedeckt gewesen.
Wie Arrow jetzt selbst feststellen konnte, hatte der Maler sie mit seiner Darstellung gut getroffen, denn auch wenn nicht alle Dryaden gleich aussahen, kam sie vielen der gerade Anwesenden unglaublich nahe.
Völlig fasziniert ging Arrow einige Schritte. Dies musste eine ganze Dryadenstadt sein. Keiner der Bäume war unbeseelt, und auch wenn sich nicht alle Geister in voller Gestalt zeigen wollten, so waren zumindest die beobachtenden Augen erkennbar.
Von diesem Anblick beflügelt, ging Arrow wieder zu dem Dryadenmann zurück.
„Ich suche nach dem größten Baum im östlichen Zentrum des Waldes“, erklärte sie ihm. „Könntet Ihr mir freundlicherweise sagen, wo ich ihn finde?“
Der Geist verbeugte sich vor ihr, nahm sie auf seine Arme, und bevor sie begriff, was geschah, flog er mit ihr im hohen Bogen durch die Luft. Mit einem schrillen Schrei ließ Arrow ihren Schrecken über diese unvorhergesehene Art zu reisen freien Lauf. Sie spürte ein sanftes Aufsetzen, doch bevor sie sich sammeln konnte, flogen sie wieder weiter.
Es war ein seltsames Gefühl, das eigene Leben einer völlig fremden Person anzuvertrauen, ohne die geringste Ahnung zu haben, was geschehen würde. Doch auf eine völlig ungekannte Art und Weise machte es auch irgendwie Spaß. Der Adrenalinschub kochte bei jedem Absprung erneut hoch und spätestens nach dem dritten Flug sprudelte ein begeistertes Lachen aus Arrow hervor.
Ihr Herz raste, als der Geist sie absetzte. Geduldig wartete er, bis der Boden unter ihren Füßen aufgehört hatte zu wanken. Dann verließ er sie mit einer erneuten Verbeugung und einem freundlichen Lächeln.
Noch immer musste Arrow in sich hinein lachen. Dies war die wohl ungewöhnlichste – wenn auch kürzeste – Reise, die sie je unternommen hatte. Und obwohl sie den Dryaden nicht im Mindesten gekannt hatte, hatte sie dennoch gewusst, dass ihr nichts geschehen würde. Früher hätte sie das in keiner Weise als angenehm empfunden, und während ihr das klar wurde, kam sie nicht umhin sich zu fragen, woran das seinerzeit wohl gelegen haben könnte. Eine Antwort darauf fand sie nicht, trotzdem war es eine erstaunliche Erkenntnis.
Ohne sich großartig umsehen zu müssen, fand Arrow sich endlich vor dem gesuchten Baum wieder. Er war wirklich erstaunlich groß, doch auf den ersten Blick auch nicht größer als die Bäume im Mammutwald. Prüfend betrachtete sie ihn. Jeden Fleck in der Rinde schaute sie sich genauestens an und lief sogar mehrere Male um den breiten Stamm herum, doch der Eingang war nicht zu finden. Sie blickte zur Seite und entdeckte unweit entfernt ein junges Dryadenmädchen. Sie machte Arrow gegenüber eine
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