Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Anspannung von ihr ab. Sie fragte sich, wo sie wohl anfangen sollte und ob es möglicherweise Wochen in Anspruch nehmen würde, die benötigten Informationen ausfindig zu machen – so das denn in diesem Meer von Büchern überhaupt zu bewältigen war.
Arrows Blick blieb an einem leuchtend roten Buch am anderen Ende des Raumes hängen, und bevor sie Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken, ob sie die Wanne kurz verlassen sollte, um es zu holen, löste sich aus den Wänden eine Dryadenfrau, die der Schwägerin von Shoes verblüffend ähnlich sah. Sie eilte zu dem Regal und brachte Arrow das Buch. Vollkommen überrascht von dieser freundlichen Geste blieben Arrow die Worte weg, doch sie strahlte über das ganze Gesicht. Mit einem freundlichen Lächeln verbeugte sich die Dryade und verschwand anschließend wieder in der Wand.
„Entschuldige bitte, dass ich so lange fort war“, hörte sie Shoes rufen. „Tarim hat schon wieder eines der Bücher verschlungen. Glücklicherweise war es dieses Mal keines aus Dryadenpapier. Dieser Idiot! Den meisten Besuchern passiert das nur ein einziges Mal, aber der Kerl frisst bis zu drei Bücher in der Woche. Manche Leute kapieren es einfach nie … Aber wie ich sehe, hast du in der Zwischenzeit das Vergnügen gehabt, meine liebe Frau Eilidh kennen zu lernen. Sie ist ihrer Schwester verblüffend ähnlich, nicht wahr?“
Arrow nickte zustimmend. „Shoes, darf ich dich etwas fragen?“
„Na klar doch. Schieß los!“
„Könnt ihr in diesem Wald Gedanken lesen?“
Der Gnom lachte. „Nicht wirklich“, entgegnete er. „Doch jedes Wesen hat ja auch noch eine andere Art zu kommunizieren als nur über seine Stimme. Wenn du dich viel mit Bäumen umgibst, dann beobachtest du. Dryaden reden nicht. Sie signalisieren auf eine andere Art, ob ihnen etwas fehlt oder sie sich besonders wohl fühlen. Somit kennen sie sich in der Körpersprache aus und können mit fast allen Lebewesen kommunizieren. Es ist eben eine Sprache, die jeder spricht, nur haben die meisten nie gelernt, diese Ausdrucksweise auch zu verstehen.“
Nachdenklich schlug Arrow ihre Augen nieder. „Denkst du denn, dass jedes Lebewesen das Verstehen dieser Sprache erlernen könnte? Vielleicht auch ich?“
„Gutes Kind, mein erster Eindruck hat mir bereits mitgeteilt, dass du mehr als Willens bist, die Handlungsweisen Anderer zu verstehen. Das allein reicht aber noch lange nicht aus. Du musst ihnen auch zuhören.“
„Ich soll einer Sprache zuhören, die sich keinerlei Geräusche bedient?“, fragte Arrow verwirrt.
Shoes nickte. „Du deutest die Körpersprache anderer mit deinen eigenen Worten. Doch jedes Wesen ist absolut einzigartig und mit ihm seine Sprache. Was in dir eine unbezwingbare Befangenheit auslöst, kratzt andere nicht im Geringsten.“ Der Gnom machte eine ausladende Geste und Arrow wusste, dass er auf ihre Bedenken, in einem öffentlichen Raum ein heißes Bad zu nehmen, anspielte. Er hatte ja auch Recht gehabt – niemanden hatte es interessiert. Vermutlich hatten die Leser ihre Anwesenheit noch nicht einmal bemerkt.
„Und dann“, fuhr Shoes fort, „gibt es wieder andere, denen gegenüber sich deine Befangenheit äußerst gut erklären lässt.“ Mit seiner Hand deutete der Gnom auf das große Fenster und scheuchte anschließend den Dryaden davon, der Arrow völlig ungeniert betrachtete. Im letzten Moment konnte sie noch erkennen, dass es sich bei dem Mann um genau den Dryaden gehandelt hatte, der Arrow zur Bibliothek gebracht hatte.
Shoes rollte mit den Augen. „Noch nicht einmal einen Tag hier und schon den ersten Verehrer an der Backe. Das kann ja heiter werden mit dir.“ Seinem Tonfall war zu entnehmen, dass er den letzten Satz ironisch gemeint hatte. Arrow konnte darüber nur lächeln und verkroch sich mit ihrer Teetasse und dem leuchtend roten Buch im Schaum des Badewassers. Noch nie zuvor hatte sie sich so wohl gefühlt und das Bedürfnis gehabt, so wenig reden zu wollen. Sie schloss gar nicht aus, dass Magie im Spiel war. Genauso gut hielt sie es aber auch für möglich, dass die ganze Atmosphäre automatisch diese Gefühle und Verhaltensweise in ihr auslöste.
Das Buch hatte sich irgendwann als Fehlentscheidung entpuppt. So etwas kommt dabei heraus, wenn ein Exemplar nach seinem Deckel beurteilt wird, dachte Arrow. Und mit dieser Feststellung war ihr dann auch endlich aufgefallen, dass die Regale in diesem Stockwerk erstaunlich aufgeräumt und verstaubt ausgesehen hatten. Hier gab es
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