Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Grasbüscheln lugten lange Hasenohren hervor. Als sie sich ihrem Ziel näherten, wurde Whisper langsamer. Verwundert sprang Arrow von seinem Rücken und studierte abermals die Karte. Stirnrunzelnd sah sie sich um. Kleine Wäldchen befanden sich zu den Seiten – das eine näher, das andere in weiter Ferne. Dazwischen wucherte eine saftige Wiese wild und grün und satt genug, um die Rinder der angrenzenden Heimatdörfer in den Bergen über einen Winter kriegen zu können.
Entnervt setzte Arrow sich ins Gras und prüfte immer und immer wieder, an welchem Punkt sie wohl die falsche Richtung eingeschlagen haben könnte. Die Karte sollte eindeutig zum Morgenroten Meer führen. Und ein Meer war ja kein See – den man im Übrigen auch nicht so leicht hätte übersehen können. Mit etwas Glück hätte sie in dieser Gegend bestenfalls einen Teich oder nur einen Tümpel finden können.
Je länger Arrow auf ihrem Sitzplatz verharrte, desto stärker wurde sie von der Sonne gewärmt. Bald schon musste sie ihren Mantel ablegen. Und endlich erkannte sie die frühlingshafte Landschaft um sich herum. Aber wie konnte das sein? Es war doch Winter und Dewayne hatte selbst gesagt, dass er den Frühling nicht ohne Keylams Rückkehr einleiten konnte.
Während sie überlegte, ob sich ihre Probleme in der Zwischenzeit wohl von selbst erledigt hatten, erblickte sie eine kleine Pfütze zwischen den Grasbüscheln. Viel mehr war es nicht, und würde man es als Teich bezeichnen, so würde man eine Maus mit einer Kuh vergleichen. Doch das bisschen Wasser kam ihr gerade recht, um sich eine kleine Abkühlung zu verschaffen.
Schon allein die Hände in das klare Nass zu tauchen, verschaffte ihr eine angenehme Frische. Wirklich kühl war es allerdings nicht, sondern eher angenehm warm. Auf der Haut kitzelten die Wassertropfen so erholsam, dass es Arrow regelrecht nach dem frischen Wasser dürstete. Doch als sie danach schöpfte und die Flüssigkeit ihren Mund berührte, spie sie es in hohem Bogen wieder aus. Es schmeckte wie flüssiges Salz, und dieser Geschmack war so unerwartet, dass sie sich schüttelte. Eilig griff Arrow nach der Satteltasche und trank von dem Wasser, das sie noch in der Weltenbibliothek abgefüllt hatte. Es stillte ihren Durst, doch der salzige Geschmack war damit nicht wegzuwaschen. Die Sache hatte aber auch ihr Gutes – Arrows Neugierde war geweckt. Eilig zog sie ihre Stiefel aus, band sie Whisper an den Sattel und setzte sich erneut ins Gras. Gespannt rückte sie näher an die Pfütze heran und hielt ihre Füße hinein, die in dem Wasser nach Grund tasteten. Aber sie musste immer dichter an den Rand rücken, und bald verschwanden ihre Beine völlig in dem salzigen Nass.
Ohne darüber nachzudenken, was da unten auf sie lauern könnte, ließ sie ihren Körper vor den Augen des völlig verdutzten Perseiden in die Pfütze gleiten.
Sobald Arrow ihre Augen öffnete, war ihr klar, dass sie das Morgenrote Meer gefunden hatte. Obwohl es sich unter der Erde befand, war es taghell unter der Oberfläche. Fische, Pflanzen und Korallen leuchteten wie Hunderte kleiner Flammen. Es wirkte beinah so, als schien die Sonne von allen Seiten, doch durch die kleine Öffnung auf der Wiese gelangte höchstens ein minimaler Schein in das Meer. Es reichte gerade aus, um Arrow den Weg zur Oberfläche zu leuchten – viel mehr vermochte dieses schwache Licht nicht auszurichten.
Begeistert stieg sie wieder aus dem Wasser. „Wir haben es gefunden!“, rief sie Whisper freudestrahlend zu. Geschwind band Arrow ein Haus der Zwillingsschnecke an seinem Sattel fest. Dem Perseiden konnte sie vertrauen. Außerdem würde er bei Gefahr umgehend die Flucht ergreifen, und somit war das Haus bei ihm am sichersten.
Das andere Haus stülpte sie – wie angewiesen – über Mund und Nase und erschrak, als es sich an ihrem Gesicht festsaugte. Nichtsdestotrotz funktionierte es ausgezeichnet und nebenbei hatte Arrow auch noch Whispers Geruch und den des Sattelleders in der Nase. Irgendwie wirkte es beruhigend und das tat gut, denn obwohl sie sich über den neuerlichen Erfolg freute, regte sich plötzlich doch ein mulmiges Gefühl in ihrem Magen. Was genau würde sie erwarten? Welchen Weg sollte sie einschlagen? Und was, wenn Perseis ihr nicht wohl gesonnen war? Fragen über Fragen. Doch es nützte nichts. Antworten bekam sie nur, wenn sie ihren Weg fortsetzte und nicht, wenn sie darüber nachdachte.
Schnell schnallte Arrow noch die Lederrolle mit dem Papier auf
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