Fruehlingsherzen
zuklappte. „Wenn ich es mir recht überlege, werde ich heute Abend zu Hause arbeiten.“
„Das ist nicht nötig.“ Bruce lächelte sie an, aber sie hängte sich bereits ihre Tasche über die Schulter.
Als sie die Tür öffnete und ihn ein letztes Mal ansah, hatte sie einen kurzen Moment lang einen Ausdruck in den Augen, als würde sie einen tiefen Kummer verbergen. „Viel Glück heute Abend“, sagte Kendra und setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. „Ruf mich an, solltest du dem großen Ansturm um neun Uhr nicht allein gewachsen sein.“
Als sie gegangen war, kam ihm das Büro völlig leer und verlassen vor. Nur ein Hauch ihres frischen und blumigen Dufts hing noch im Raum. Er atmete tief ein und ging zu der Fotografie. Doch dann entschied er, dass es kindisch wäre, wenn er sie aus Trotz abhängte. Stattdessen sah er durch den Zweiwegespiegel, wie Kendra draußen kurz vor seinen neuen Zapfhähnen an der Bar stehen blieb und einen davon ausprobierte. Dann nahm sie einen Kaffeebecher und ließ ganz fachmännisch etwas frisches Bier in den Becher laufen. Sie prostete ihm durch den Spiegel hindurch spöttisch zu, bevor sie den Becher in einem Zug austrank.
Bruce beobachtete, wie sie dabei die Augen schloss und sich ihre Brust hob und senkte. Sofort schoss ihm das Blut vom Kopf in tiefere Körperregionen.
Sie wischte sich den Schaum aus den Mundwinkeln, schaute direkt in den Spiegel und zwinkerte ihm zu.
Noch Stunden später hatte Kendra den bitteren Geschmack des Biers im Mund. Sie war mit Newman spazieren gegangen, hatte zu Abend gegessen, ihre Inventurliste überprüft, im Haus aufgeräumtund sogar ein langes heißes Bad genommen. Aber all das hatte sie nicht von den Gedanken an Bruce ablenken können. In ihrem Kopf schwirrten unzählige unbeantwortete Fragen herum. Wie würde sie sechs solche Wochen überstehen können? Wo würde sie die Kraft hernehmen, weiter so zu tun, als wäre ihr das alles völlig gleichgültig? Was konnte sie tun, damit er verschwand? Was wäre, wenn er erfuhr, was vor gut neun Jahren passiert war?
Und die letzte Frage sprach sie laut aus, als sie Dianas Haus betrat, um Newman zum dritten Mal zu einem Spaziergang abzuholen. „Warum geht mir dieser Mann nach all den Jahren immer noch unter die Haut?“ Der Hund sah überrascht zu ihr hoch. „Ich fühle mich einsam, Newman“, gestand sie und seufzte. Der Cockerspaniel ließ sich bereitwillig an die Leine nehmen. Draußen schaute Kendra über den Strand und auf die Brandung, die im Mondlicht glitzerte.
Es war in einer ganz ähnlichen Nacht wie dieser gewesen, an einem Strand etwa vier Kilometer weiter weg, als sie einem Jungen, für den sie seit der ersten Klasse geschwärmt hatte, ihre Liebe und ihre Unschuld geschenkt hatte. Und jetzt, so viele Jahre später, war dieser Junge in ihrem Café, vertrieb ihre Kunden, durchkreuzte ihre Pläne und stellte ihr ruhiges Leben auf den Kopf.
„Und wahrscheinlich hat er keine Ahnung, wie er das Lokal dichtmachen soll“, sagte sie zu Newman, der zustimmend bellte. „Und wenn er etwas vermasselt?“, fragte sie und ging rasch zurück zu ihrem Haus. „Er weiß nicht, wie man die Kasse abschließt oder die Computer herunterfährt.“ Newman bellte zweimal, und sie dirigierte ihn in ihr Strandhaus. „Das sehe ich auch so. Es ist besser, wenn wir etwas tun, um Schlimmeres zu verhindern.“ In zehn Minuten hatte sie sich umgezogen. Nun trug sie eine Kakihose, ein T-Shirt, Sandaletten und hatte etwas Make-up aufgelegt. Dann fuhr sie schnell los, um nicht zu spät zu kommen.
Als sie weder vor dem Café noch auf dem kleinen Parkplatz hinter dem „Monroe’s“ eine Parklücke fand, fragte sie sich,was in Rockingham heute Abend eigentlich los war. Schließlich stellte sie das Auto einen Häuserblock weiter weg ab. Als sie mit Newman den High Castle Boulevard hinunter zum „Monroe’s“ lief, war es bereits Viertel nach zehn. Deshalb ging Kendra davon aus, dass Bruce die Bar schon geschlossen hatte. Doch dann ging die Tür von innen auf, und die lachenden Gäste, die herauskamen, rannten sie fast um. Erstaunt nahm Kendra die Entschuldigung der Leute entgegen.
Nachdem Kendra das „Monroe’s“ betreten hatte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Aus Lautsprechern schallte ein Lied von Bruce Springsteen, auf einem der TV-Bildschirme lief ein Serienwagen-Rennen, auf einem anderen ein Baseballspiel. Das Stimmengewirr von fünfzig oder sechzig Leuten mischte sich mit Gelächter und dem Klirren
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