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Frühstück bei Tiffany

Frühstück bei Tiffany

Titel: Frühstück bei Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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gingen wir auf der Treppe aneinander vorbei. Wenn sie zu Joe Bell hereinkam, ging ich hinaus. Zu einem Zeitpunkt ließ Madame Sapphia Spanella, die Koloratursängerin und Rollschuhbegeisterte, die auf der untersten Etage wohnte, einen Brief bei den übrigen Mietern des Backsteinhauses umlaufen, worin sie bat, sich ihr anzuschließen, um Miss Golightly hinauswerfen zu lassen - sie sei, sagte Madame Spanella, «moralisch nicht einwandfrei» und «die Anstifterin nächtelanger Zusammenkünfte, die die Sicherheit und Gesundheit ihrer Nachbarn bedrohen».
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    Obgleich ich mich zu unterschreiben weigerte, hatte ich insgeheim das Gefühl, Madame Spanella habe Grund zur Klage. Aber ihr Gesuch schlug fehl, und als der April sich dem Mai näherte, waren die fensteroffenen warmen Frühlingsabende eindrucksvoll belebt von Party-Geräuschen, dem lauten Plattenspieler und Martini-Gelächter, das Apartment 2 entquoll.
    Es war nichts Neues, verdächtigen Gestalten unter Hollys Besuchern zu begegnen, ganz im Gegenteil; aber eines Tages bemerkte ich damals, im späten Frühling, als ich durch das Vestibül des Backsteinhauses ging, einen höchst auffallenden Menschen, der ihren Briefkasten studierte. Ein Mann Anfang der Fünfzig mit einem harten, verwitterten Gesicht, grauen einsamen Augen. Er trug einen alten schweißfleckigen grauen Hut, und sein billiger Sommeranzug, ausgeblichen blau, hing ihm lose um sein dürres Gestell. Er schien nicht die Absicht zu haben, bei Holly zu klingeln. Langsam, als lese er Blindenschrift, ließ er immer wieder einen Finger über die geprägten Buchstaben ihres Namens gleiten.
    An jenem Abend, als ich zum Essen fortging, sah ich den Mann wieder. Er stand gegenüber auf der Straße, gegen einen Baum gelehnt, und starrte zu Hollys Fenster hinauf. Finstere Überlegungen überstürzten sich in meinem Hirn: War er ein Detektiv? Oder irgendein Spion der Unterwelt, der mit ihrem Sing-Sing-Freund Sally Tomato zusammenhing? Die Situation weckte meine weicheren Gefühle für Holly zu neuem Leben; es war nur anständig, unsere Fehde lange genug zu unterbrechen, um sie zu warnen, daß sie beobachtet würde. Als ich zur Ecke vorging, in Richtung auf das Lokal an der Kreuzung der Neunundsiebzigsten Straße und Madison zu, konnte ich spüren, wie sich die Aufmerksamkeit des Mannes auf mich konzentrierte. Gleich darauf wußte ich, ohne den Kopf zu wenden, daß er mir folgte. Denn ich konnte ihn pfeifen hören. Nicht irgendeine gewöhnliche Melodie, sondern die klagende Prärie-Weise, die Holly manchmal auf ihrer Gitarre spielte: Will niemals schlafen, Tod nicht erleiden. Will nur so dahinziehn über die Himmelsweiden. Das Gepfeife ging weiter über die Park Avenue hinweg und die Madison hinauf. Einmal, da ich auf das Umschalten einer Verkehrsampel warten mußte, beobachtete ich aus dem Augenwinkel, wie er sich niederbeugte, um einen Spitz mit schütterem Fell zu streicheln.
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    «Ein prächtiges Vieh haben Sie da», versicherte er dem Besitzer mit dem heiseren, ländlichen Akzent der Südstaaten.
    Das Lokal war leer. Trotzdem setzte er sich direkt neben mich an die lange Theke. Er roch nach Tabak und Schweiß. Er bestellte eine Tasse Kaffee, rührte ihn aber nicht an, als er kam. Dafür kaute er an einem Zahnstocher und musterte mich eingehend in dem uns gegenüber an der Wand hängenden Spiegel. «Entschuldigen Sie», sagte ich, ihn über den Spiegel hin ansprechend, «aber was wünschen Sie?»
    Die Frage setzte ihn nicht in Verlegenheit, er schien erleichtert, daß sie gestellt worden war. «Mein Sohn», sagte er, «ich brauche einen Freund.»
    Er brachte eine Brieftasche zum Vorschein. Sie war abgegriffen wie seine lederigen Hände, zerfiel fast in Stücke, nicht anders als die brüchige, eingerissene verschwommene Photographie, die er mir reichte. Sieben Personen waren da auf dem Bild, alle zusammen in einer Gruppe auf der ausgetretenen Veranda eines Holzhauses und alles Kinder bis auf den Mann selber, der seinen Arm um die Taille eines pummeligen blonden kleinen Mädchens gelegt hatte, die mit einer Hand ihre Augen gegen die Sonne schützte.
    «Das bin ich», sagte er und deutete auf sich. «Das ist sie ... », er tippte auf das pummelige Mädchen. «Und dieser hier drüben», fügte er, auf eine strubbelköpfige Bohnenstange weisend hinzu, «das ist ihr Bruder Fred.»
    Ich blickte zurück auf «sie» - und ja, jetzt konnte ich es erkennen, eine embryohafte Ähnlichkeit mit Holly in dem blinzelnden,

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