Frühstück mit Kängurus
Ozeandampfers, in den man hineingehen konnte und der einem mit Hilfe von nachgebauten Kaj ü ten und allerlei schriftlichen Zeugnissen die Atmosph ä re des Lebens an Bord f ü r Immigranten in verschiedenen Perioden vermitteln sollte. Ich war besonders von der Abteilung aus den f ü nfziger Jahren angetan. Wahrscheinlich weil ich tausende Meilen entfernt vom Meer aufgewachsen bin und das gro ß e Zeitalter der Passagierschifffahrt verpasst habe, hegte ich immer eine heimliche, romantische Sehnsucht nach Schiffsreisen. Jedenfalls konnte ich nicht anders: Wie gebannt verweilte ich bei jedem trivialen Detail des Lebens an Bord. Ich studierte eine vierzig Jahre alte Speisekarte, als tr ä fe ich selbst schon bald die Entscheidung zwischen Lammkoteletts und Rinderschmorbraten, stellte mir meine eigenen B ü cher und Toilettensachen auf dem Regal neben der Koje vor und ü berlegte, ob ich f ü r den Tanztee am Nachmittag mein Gep ä ckaufkleber- oder das Hawaiihemd mit dem Wilden-Orchideen-Muster tragen sollte.
Im Grunde wurde mir erst jetzt so richtig klar, was f ü r eine Investition an Zeit und Geld eine Reise nach Australien damals war. Bis Anfang der F ü nfzigerjahre kostete ein R ü ckflugticket von Australien nach England so viel wie ein Vierzimmer-K ü che-Bad-Vorortheim in Melbourne oder Sydney. Als Qantas ab 1954 die gr öß ere Lockheed Super Constellation einsetzte, fielen die Preise allm ä hlich, doch trotzdem kostete am Ende des Jahrzehnts eine Flugreise nach Europa immer noch so viel wie ein Auto. Es ging auch keineswegs flott und war mitnichten komfortabel. Die Super Constellations brauchten drei Tage bis London und besa ß en meist weder die Leistungsf ä higkeit noch den Flugradius, um den St ü rmen auszuweichen. Wenn man in Monsune oder Zyklone geriet, hatten die Piloten keine andere Wahl als die Schilder » Bitte anschnallen « einzuschalten und durchzuhoppeln. Selbst bei normalen Wetterverh ä ltnissen flogen sie in einer H ö he, bei der sie garantiert mehr oder weniger st ä ndig durch Turbulenzen kamen. (Qantas nannte die Strecke - ohne erkennbare Ironie - die Kangaroo Route.) Mit modernen Ma ß st ä ben gemessen, war es eine Tortur.
Bis Ende der F ü nfziger bedeutete f ü r das Gros der Einwanderer die Reise nach Australien ohnehin noch eine f ü nfw ö chige Seereise. Und da man sich selbst heute einen vollen Tag in eine Sardinenb ü chse mit Fl ü geln einsperren lassen muss, kommt einem Australien immer noch weit weg vor. Wie unendlich weit weg muss es den Menschen damals vorgekommen sein, als man auf einem Schiffsdeck stand und zusah, wie die Kontinente einer nach dem anderen hinter einem zur ü ckblieben, und man zw ö lftausend Meilen lang auf Schiffskielwasser hinunterschauen konnte. Ich betrachtete die Gesichter der strahlenden Menschen, die sich in Liegest ü hlen aalten oder auf den windigen Decks auf und ab schritten. Sie sahen genauso aus wie die, die ich in dem Surfers Paradise-Buch in Adelaide betrachtet hatte. Diese Leute waren auch gl ü cklich, strahlend gl ü cklich. Sie waren auf dem Wege in ein gl ü ckliches Land und wussten es. Ein Leben voller Sonnenschein erwartete sie, gute Jobs, ein sch ö nes Zuhause, gl ä nzende Aussichten und f ü r alle elektrische Wasserkocher. Sie fuhren in Ferien, und zwar ohne R ü ckfahrkarte.
Es war eine interessante Phase f ü r Down Under. In den F ü nfzigerjahren wurden nicht nur Millionen Ausl ä nder Australier, sondern eigentlich auch die Australier selbst. Bis 1949 hatte es gar keine australische Staatsb ü rgerschaft gegeben. In Australien geborene Menschen waren formal Briten - so britisch, als w ä ren sie aus Cornwall oder Schottland. Sie schworen K ö nig und Vaterland Treue, und wenn die in den Krieg zogen, gaben sie selbstverst ä ndlich ihr Leben auf den Schlachtfeldern in der Fremde. In der Schule lernten sie ebenso gewissenhaft britische Geschichte, Geografie und Wirtschaft, als w ü chsen sie in Liverpool oder Manchester auf. Ich erinnere mich, wie Catherine Veitch mir einmal in einem ihrer Briefe erz ä hlte, wie surreal es war, in den Drei ß igern in einem Klassenzimmer in Adelaide zu sitzen, die leuchtend roten Waratha-Bl ü ten und Rieseneisvogel-Schareri oder was auch immer zu betrachten und dabei die H ö he schottischer Berge und die Zahlen f ü r die Gersteproduktion in East Anglia zu lernen.
Die Australier begriffen sehr wohl, wie absurd diese Situation war, doch Gro ß britannien war alles, was sie hatten.
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