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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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und vergiss sie nie. Es gibt nichts Schlimmeres, als zu vergessen, dass dieser Reichtum uns nährt, denn er geht uns in der allgemeinen Gleichgültigkeit verloren.
    Mit der Zeit gelangte ich zu der Erkenntnis, dass die Welt so groß gar nicht ist und sich im Alter auf das Wesentliche reduziert. Als Mädchen wäre ich am liebsten einen Weg bis zu seinem Ende gegangen, bis er nicht weiterging. Weil ich in den Bergen lebte, stellte ich mir das Meer vor, obwohl ich wusste, dass der Weg selbst dort nicht enden würde. Das Meer war mein Mysterium, ich verlieh ihm Möglichkeiten, über die das Land nicht verfügte. Ich träumte davon, eines Morgens aufzubrechen, ohne es jemandem zu sagen. Wie viele Geheimnisse verbargen sich doch hinter meinem verschwiegenen Wesen!
    Meinen Kameraden oben in den Bergen spielte ich vor, dass ich einen Traum mit ihnen teilte, der viel naheliegender war als meine Chimären von jener weiten Ferne: ins Tal hinunterzugehen, wo der Fortschritt war. Mein Großvater sprach vom Tal wie von einem Ort der Verdammnis. Er sagte, man verdiene dort sein Geld schneller, habe dann aber keine Zeit mehr, Nutzen daraus zu ziehen. Die Fabriken machen Tote, flüsterte er mir leise zu, als wolle er mich warnen. In den Feinmechanikwerken des Arve-Tals, das meine Mutter Tal der Tränen und mein Vater Tal der Wracks nannte, wollten sie mich nicht. Die stellten vor allem junge Männer ein. Schließlich fand ich Arbeit in einer kleinen Fabrik weiter weg im Departement. Das Geld, das ich verdiente, war wenig genug, um den Preis harter Arbeit kennenzulernen. Das war für meine Eltern das Entscheidende: dass man den Preis der Dinge kannte. Und dass man bei der Gelegenheit erfuhr, was es hieß, fernab von den Seinen zu leben.

 
    M amoune gefiel die Pariser Wohnung ihrer Enkeltochter von Anfang an. Sie war entzückt über die originelle Einrichtung, die der ihren so fremd war. Sie mochte die bunten Girlanden in der Küche, die der Offiziersmesse eines Segelschiffs nachempfunden war. Jade wollte, dass sie sich wohl fühlte bei ihr, und gab sich Mühe, ihr Schlafzimmer, in das sie Mamoune einquartiert hatte, ganz nach deren Geschmack zu gestalten. Vor ihrem Aufbruch war dafür keine Zeit mehr geblieben. Sie hatte nur schnell die Tür zu ihrem Arbeitszimmer, das nun auch ihr Schlafzimmer war, geschlossen, damit Mamoune nicht gleich sah, dass sie auf einer Matratze auf dem Boden schlief. Und dann nichts wie los. Mamoune so schnell wie möglich abholen. Das war Jades Wunsch. Die Einrichtung der Wohnung, in der sie mit der alten Dame leben würde, verschob sie auf später. Julien hatte einen Monat vorher fast alle seine Sachen mitgenommen, und Jade musste den Raum, den sie fast fünf Jahre lang miteinander geteilt hatten, erst einmal zurückerobern. Zu ihrer großen Überraschung hatte sie mittlerweile nur noch vage Erinnerungen an ihr gemeinsames Leben. Jade hatte die Freunde aussortiert, die zu Julien hielten und nicht verstanden, dass sie sich an der Seite dieses tollen, witzigen, aufmerksamen Mannes furchtbar langweilte! Jade sehnte sich nach Leidenschaft, nach einem Mann, der das Blut in ihren Adern in Wallung brachte. Sie wollte zittern vor Erregung, wolltehören, wie ihr Herz raste, anstatt zu ticken wie eine alte Küchenuhr.
     
    Als Jade die ersten Mahlzeiten für ihre Großmutter und sich zubereitete, fiel ihr auf, dass sie noch nie für sie gekocht hatte. Immer hatte Mamoune sich an den Herd gestellt, selbst wenn es nicht ihr eigener war. Mamoune sah ihr zu und war nicht überrascht. Was Jade wusste, hatte sie von ihr. Lange Zeit hatte sie sich für ungeschickt gehalten, sich dieses Ballett nicht zugetraut, in dem scheinbar alles gleichzeitig geschah: Zwiebeln anbraten, die nächsten Zutaten hervorholen, Gemüse schneiden, die Sauce nachwürzen und gleichzeitig einen Blick auf den Kuchen im Backofen werfen. Aber Jade hatte Mamoune sehr oft zugesehen in ihrer mit Holzmöbeln ausgestatteten Küche, und als sie ihre Freunde zum ersten großen Abendessen einlud, konnte sie hervorzaubern, was sie alles bei ihr gelernt hatte.
    Vor ihrer »Entführung« hatte Jade ihre Großmutter lange nicht gesehen, aber Mamoune spürte wohl, dass mit dem jungen Mann, den sie immer »dein Julien« genannt hatte, irgendetwas nicht mehr im Lot war. Nach ein paar Tagen sah sie Jade merkwürdig an und erkundigte sich nach ihm. Na, und was ist mit »diesem Julien«? Ist er abgehauen, oder hast du ihn rausgeworfen?
    »Ich glaube, wie waren nie

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