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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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ein richtiges Paar. Nur zwei Spätentwickler, die zusammenlebten. Wenn ich mir meine Zukunft vorstellte, hatte ich immer einen Mann im Kopf, den ich erst später kennenlernen und mit dem ich eine wundervolle Liebesgeschichte erleben und ein paar tolle Kinder haben würde, eine Art Alltagsmärchen. Idiotisch, was?«
    Mamoune lächelte.
    »Das Glück ist ein Rindvieh – es sucht seinesgleichen«, antwortete sie und hob eine Hand, wie um die Unausweichlichkeit des Schicksals anzudeuten. Während sie Mamoune diese Geschichte erzählte, merkte Jade, dass sie selbst gar nicht mal genau wusste, was sie sich vom Leben wünschte. Ermutigt vom wohlwollenden Blick der Großmutter, hatte sie ihr eine Art Wunschbild von ihrem Traummann beschrieben, das aber noch alles offen ließ. Musste man erst einiges erlebt haben, bevor man der wahren Liebe begegnete? Erkannte man den Mann seines Lebens mit untrüglichem Instinkt, wenn er vor einem stand? Sie traute sich nicht, Mamoune zu fragen. Warum sollte sie auf die Idee kommen, mit einer Frau, die fünfzig Jahre älter war als sie, über die Liebe zu reden? Und wie sollte Mamoune mit ihren achtzig Jahren wissen, was sie, die dreißig war, von einem Mann erwartete? Und überhaupt: Erhoffte sie sich einen Mann oder mehrere?
    »Und du, was hast du dir so vorgestellt, bevor du Papounet kennenlerntest?«
    Sie formulierte ihre Frage schließlich über einen Umweg. Nicht, weil sie sich eine brauchbare Antwort versprach, eher aus Neugier auf ihre Großmutter.
    »Oh, gar nichts! Ein Mädchen, das wie ich alles andere als die Wohlhabendste oder Schönste im Dorf war, konnte nicht viel erwarten. Dass die Liebe eines Tages zu mir käme, davon träumt wohl jedes junge Mädchen insgeheim. Man hoffte, an einen guten, fleißigen jungen Mann zu geraten, dessen Familie angesehen war. Die Familie spielte damals eine große Rolle. Bestimmte Dinge gerieten nicht so schnell in Vergessenheit. Meine Großmutter, zum Beispiel, kam als Tochter einer der Besessenenvon Morzine auf die Welt. Sie wurde Tochter des Teufels genannt, und sie hatte irrsinnige Schwierigkeiten, einen Mann zu finden. Am Ende schnappte sie sich einen Burschen von außerhalb, der diese Geschichten nicht kannte.«
    »Warte mal, das mit den Besessenen von Morzine ist doch eine Legende, oder?«
    Mamoune lächelte. Die Aufmerksamkeit, die Jade ihr entgegenbrachte, war wie Öl ins Feuer ihrer Erinnerungen. Man musste nur ein wenig darin herumstochern, schon loderten sie in ihrem Gedächtnis auf. Sie hatte ihrer Enkelin, als sie klein war, so viele Geschichten erzählt, dass Jade meinte, auch diese sei eines der Märchen, die sie aus ihrer Schürzentasche zu holen schien. Doch Mamoune belehrte sie.
    »Nein, diese Besessenen waren sehr real. Man sagte, sie seien verteufelt. Über hundert Mädchen aus dem Dorf hatten jahrelang solche Anfälle. Sie schlugen kreischend um sich und stießen Beleidigungen aus; die Leute im Dorf meinten, der Teufel träte aus ihren Mündern. Mamounes Mutter war die Tochter einer dieser Kreaturen und wurde mitten in einem solchen Anfall geboren. Man hätte die Angelegenheit auch einfach vergessen können«, seufzte Mamoune, »doch als ihre Tochter, meine Mutter, begann, bei Entbindungen zu helfen, fiel ein paar guten Seelen gleich ein, sie sei ja genau die Richtige, um eine Reihe von Teufelchen in die Welt zu holen. Kannst du dir das vorstellen? Die Notwendigkeit tat ein Übriges. Die Unfähigkeit der anderen und das Wohlergehen der Babys, die meine Mutter auf die Welt geholt hatte, brachten das Gerede schließlich zum Schweigen. Mit der Zeit geriet die Sache in Vergessenheit, es zählteam Ende nur noch ihr guter Ruf, dass sie Mutter und Kind rettete. Ihr unterlief nie ein Fehler, aber ich sah ihr an, dass sie ständig Angst hatte, ein Missgeschick könnte die ganze Geschichte plötzlich wieder aufrollen.«
    Die Großmutter ihrer Großmutter – so lange war das noch gar nicht her, und doch klang es für Jade wie aus dem Mittelalter. Aber noch etwas viel Wichtigeres war Mamoune gelungen: Dass sie die Zeit ihrer eigenen Jugend beschrieb, brachte sie ihrer Enkeltochter näher. Auch sie hatte eine Großmutter gehabt, und vielleicht hatte Mamoune damals die gleiche Kluft wahrgenommen wie Jade heute. Aber wirklich die gleiche? Das bezweifelte Jade.
     
    Die Woche war sehr ruhig. Jade hatte ein oder zwei Artikel zu liefern und konnte sich nicht aus Paris fortbewegen. In den ersten beiden Wochen hatten sie jeden Tag damit

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