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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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gerechnet, dass Jades Tanten in ihrer kleinen Wohnung aufkreuzen würden. Jade hatte ihren Vater in einer ausführlichen E-Mail gebeten, seinen Schwestern mitzuteilen, dass sie sich von nun an um Mamoune kümmern würde. Sie scheute sich vor der direkten Konfrontation und hatte Angst, ihren Tanten ihre Sicht der Dinge darzulegen, der die drei erfahrenen Frauen sogleich widersprechen würden. Jade wusste nicht genau, was ihr Vater ihnen erzählt hatte, doch ihr Schweigen verhieß nichts Gutes. Sie fürchtete, dass der Familienrat sich nur im Moment still verhielt, um dann umso härter zuzuschlagen. Mamoune, die ihre Töchter gut kannte, hatte wohl den gleichen Verdacht.
    »Mamoune, du arbeitest zu viel. Du hast die Fenster geputzt, das Parkett gewachst … Wenn du so weitermachst,muss ich dich doch noch ins Pflegeheim bringen, damit du dich ein bisschen schonst.«
    »Ach, Schätzchen, ich glaube, es ist das erste Mal, dass du so mit mir schimpfst. Es tut mir leid, aber das Nichtstun liegt nun mal nicht in meiner Natur. In einem Haushalt gibt es immer etwas zu erledigen, das wird mich schon nicht umbringen.«
    Jeden Morgen schlüpfte Mamoune in eine dieser bunt gemusterten Schürzen, in denen Jade sie wochentags immer gesehen hatte. Vor dem Aufräumen zog sie eine davon über ihr schlichtes beigefarbenes Kleid oder ihre schwarze Hose. Sonntags trug sie eine weiße Bluse und das goldene Kreuz, das sie zur Kommunion bekommen hatte. Einige Zeit nach ihrem Einzug hatte Jade Mamoune zu einer Runde durchs Viertel eingeladen und festgestellt, dass manche Ladenbesitzer bereits ihren Namen kannten. Mamoune erzählte, nachmittags setze sie sich gern in den Park des Musée de la vie romantique, obwohl es Jade lieber gewesen wäre, wenn sie ihre Abwesenheit für einen kleinen Mittagsschlaf genutzt hätte. Nach dem Abendessen kostete es Mamoune sichtlich Mühe, nicht mit der Nase in den Dessertteller zu sinken, damit ja niemand auf die Idee käme, sie wäre zu alt. Jade hatte ihr zu verstehen gegeben, dass das nichts nütze, sie sei nun einmal alt und genau aus diesem Grund lebten sie schließlich zusammen.
    Die Diskussionen um die Hausarbeit nahmen zu, und Jade musste erst wütend werden, damit Mamoune aufhörte, die Bücherregale abzustauben.
    »Ich finde die Vorstellung nämlich überhaupt nicht komisch, dass du mit deinen achtzig Jahren auf einen Stuhl kletterst und dich in Gefahr bringst!«
    »Ich bin groß genug«, erwiderte Mamoune streitlustig, »das selbst zu beurteilen. Es ist auch nicht gefährlicher, als auf allen vieren dein Parkett zu wienern, und ich wette, das Holz hat noch nie so geglänzt. Das hatte dein Fußboden wirklich mal nötig! Außerdem hast du beim Nachhausekommen selbst gesagt, dass dich der angenehme Geruch des Bohnerwachses an mein Haus erinnert!«
    Sanft wie ein Lamm, aber längst nicht so zahm, dachte Jade. Sie hatte sich wohl zu sehr um Mamounes Sicherheit gekümmert und zu wenig darum, dass sie auch beschäftigt war. In der ersten Zeit hatte sie mehrmals täglich zu Hause angerufen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Sie hatte überlegt, wie sie es anstellen könnte, etwas in Mamounes Handtasche zu schmuggeln, das sie an ihre Adresse erinnern und ihr als Gedächtnisstütze dienen könnte, falls sie plötzlich mal zerstreut wäre. Das Schwierigste war natürlich, es ihr anzubieten, ohne sie zu verärgern. Jade schämte sich für ihr Benehmen. Sie hatte das Gefühl, ihre Großmutter zu verraten, konnte aber nichts gegen die Angst tun, dass Mamoune einen neuerlichen Schwächeanfall erleiden oder ihren Realitätssinn verlieren könnte.
    »Versprich, mir zu sagen, wenn du irgendwelche Beschwerden hast oder ein wenig durcheinander bist. Wenn du deine gesundheitlichen Probleme vor mir versteckst, habe ich keine Argumente, um dich vor deinen Töchtern zu schützen, wenn sie dich holen wollen. Wenn du möchtest, dass sie uns in Ruhe lassen, müssen wir unanfechtbar sein, was dein Befinden angeht.«
    Sie versprach es, aber sicher fühlte Jade sich dennoch nicht. Die Vorstellung, Jade in Schwierigkeiten zu bringen,war Mamoune so entsetzlich, dass sie durchaus in der Lage wäre, ihre Erschöpfung vor ihr oder, schlimmer noch, vor sich selbst zu verbergen. Sie gehörte nicht zu der Generation, in der man jammerte oder den ganzen Tag seine Launen überwachte.
    Mamoune hatte darauf bestanden, dass sie eine gemeinsame Kasse einrichteten, in die jede zu Beginn der Woche etwas für die Ausgaben

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