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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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Leinwand, auf der sich nacheinander Fassungslosigkeit, Unverständnis, Wut, Zweifel und vielleicht sogar ein Hauch zärtlicher Freude abzeichneten, wenn auch nur kurz. Als nähme Denise es ihrer Mutter übel, dass sie auch ein wenig von ihrer Welt war und ihr das nie mitgeteilt hatte.

Mamoune
    D ie Worte, die ich früher gebrauchte, meine Einfachheit, mein gesunder Menschenverstand, alles, was ich bin und was von der Erde herrührt, auf der ich gelebt habe, hätten nicht ausgereicht, um eine Tochter zu überzeugen, die ich einst selbst gedrängt habe, in der Stadt zu leben. Sie hat sich den dortigen Gepflogenheiten angepasst und verachtet die Leute vom Land regelrecht. Selbst Jade, die durch unsere offenen Gespräche in den vergangenen zehn Tagen schon vorbereitet ist, war wie versteinert, als sie mich so reden hörte. Doch sie wirkte sehr erleichtert, dass ich ihr zuvorkam. Es hätte sie überfordert, einer Frau wie Denise allein gegenüberzutreten. Und ich kann verstehen, dass es ihr schwerfällt, vor ihrer Tante, die Ärztin und dreißig Jahre älter ist als sie, die Entführung ihrer Großmutter zu rechtfertigen. Ich glaube, wenn Denise nicht meine Tochter wäre, hätte ich mehr Freude an dieser Vorstellung gehabt. Aber ich musste mich offenbaren, um so leben zu können, wie ich es für richtig halte.
    Ich weiß nicht, warum, aber die Ereignisse dieses Abends spulen sich immer wieder vor meinem inneren Auge ab, als wären sie der Beginn eines anderen Lebens.
    Nach einem ausgedehnten Schweigen sagte Denise, es sei nie ihre Absicht gewesen, mich daran zu hindern, im Alter das Leben zu wählen, das ich mir wünschte. Wunderbar, unterbrach ich sie lächelnd und gab vor, dass ich das Gespräch damit als beendet betrachtete. Als sieeinen neuen Anlauf machen wollte, wechselte ich das Thema.
    »Wir könnten doch in einem der kleinen Restaurants essen gehen, deren Besitzer Jade kennt. Es geschieht nicht so häufig, dass ich meine Tochter und eines meiner Enkelkinder bei mir habe. Drei Generationen! Ich würde euch gern einladen. Und außerdem habe ich Hunger!«, fügte ich hinzu und ging nach nebenan in mein Zimmer.
     
    Auf dem kurzen Weg zu dem marokkanischen Restaurant, das Jade uns vorgeschlagen hat, mustert mich meine Tochter, und ich spüre, dass ihr tausend Fragen durch den Kopf gehen, die sie mir nicht zu stellen wagt. In den drei Wochen, die ich nun in Paris lebe, haben wir sonnige Tage verlebt. Die wenigen Wolken vermochten den Himmel nicht zu trüben, und erst in der Nacht sinken die täglichen vierundzwanzig Grad und weichen einer feuchten, etwas frischeren Luft. Nur das starke Leuchten der Stadt macht es unmöglich, die Sterne zu bewundern. Ich, die ich so lange Zeit in der Provinz gewohnt habe, wundere mich jeden Abend, so viele Menschen draußen zu sehen. Die Terrassen vor den Cafés sind gefüllt, und oft hört man dort auch Musiker. Überall wird geplaudert und gelacht, als wäre die ganze Stadt im Urlaub. Über alles und nichts redend fährt Jade uns zu Wally aus der Sahara, einem offenherzigen, lebhaften Mann, der meine Enkelin zur Begrüßung »Wüstenfuchs« nennt. Wally macht den besten Couscous, den ich kenne, erklärt Jade und stellt uns vor, während wir an einem runden, in eine Nische gequetschten Tisch Platz nehmen. Ein Tisch für Verliebte oder für drei Freundinnen, die sich Geheimnisse zu erzählen haben, sage ichmir. Jade macht eine zufriedene Miene, die ich nicht für geheuchelt halte. Sie ist jung. Sie spürt nicht, was sich genau in diesem Moment hinter den angespannten Zügen ihrer Tante abspielt und mein Herz bedrückt.
    Arme Denise, die damit groß wurde, auf ihrer Meinung zu bestehen, jederzeit bereit, zu sterben in einem Kampf, den niemand mit ihr aufzunehmen wagte. Und doch eine ganz andere Denise als die Frau, deren Maske sie in ihrem untadeligen Leben vor sich herträgt. Eine Frau, die leidvoll mit ansehen musste, wie ihr Mann mit einer Jüngeren abhaute und die ihre zwei Kinder ebenso ertrug wie ihren Beruf. Kummer schien sie nicht an sich heranzulassen. Später lebte sie ihre Liebe zu einem verheirateten Mann, an dem sie sehr hing, nicht aus, weil sie nicht wollte, dass eine andere erleiden musste, was sie hinter sich hatte. Ich sollte so etwas nicht denken, aber sie wären ein schönes Paar gewesen, sie und dieser breitschultrige Chirurg mit dem Strubbelkopf. Ich habe sie einmal in der Altstadt von Annecy gesehen und beobachtet, wie sie lachend Hand in Hand die Straße

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