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Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
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Wellen überkam. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie in Tränen ausgebrochen wäre, sie presste ihren Kiefer zusammen, als müsse er die Fluten eines anschwellenden Flusses zurückhalten wie ein Damm. Ich kann nicht umhin, diesen Zustand mit ihrem Roman in Verbindung zu bringen, mit dem, was ich beim jetzigen Stand meiner Lektüre über sie erfahren habe. Verflixt! Bei all der Aufregung habe ich noch nicht einmal mit ihr darüber gesprochen!
    Heute Morgen, vor dem überraschenden Besuch von Denise, habe ich mit der Lektüre begonnen. Begleitet von vielen Sorgen, die weniger Jade betrafen als mich … Kann ich ihr die Unterstützung, die ich ihr etwas voreilig angeboten habe, überhaupt geben?
    Doch dann bereitete es mir Spaß, ihren Roman zulesen. Mir gefielen die Figuren, einige von ihnen habe ich liebgewonnen. Dann wieder ärgerte ich mich über ein paar Oberflächlichkeiten, die ich ihrer Journalistenfeder zuschreibe. Nachdem ich mich zunächst auf die ineinander verschachtelten Geschichten eingelassen hatte, in denen man Paare kennenlernt und wieder aus dem Auge verliert, um anderen zu begegnen, überkam mich in der Mitte des Romans das Verlangen, dass ihre Geschichten sich nun endlich ineinanderfügen sollten. Ich hätte mir die merkwürdige Handlung etwas weniger weitschweifig gewünscht, um nicht das Interesse zu verlieren. Aber ich habe achtgegeben, diese Erkenntnis nicht alles überdecken zu lassen, denn ich weiß, dass die erste Lektüre eines Textes einmalig ist und alle weiteren sich von diesem ersten Eindruck nähren. Ich habe meine Gedanken aufgeschrieben und mir die Seitenzahl dazu notiert, denn ich will nicht in ihrem Manuskript herumkritzeln, bevor ich nicht die richtige Formulierung weiß.
     
    Ich hatte drei Viertel der Geschichte gelesen, als Denise klingelte. Ich habe aufgemacht, weil ich dachte, Jade hätte ihren Schlüssel vergessen, und stand völlig perplex da, mit dem Manuskript aufgeschlagen auf dem Tisch und dem Bleistift zwischen den Zähnen. Ich schob mein Notizheft und den Roman rasch zu dem Stapel von Jades Unterlagen, die ich beim Staubwischen immer aufzuräumen versuchte. Ich fühlte mich wie ein kleines Mädchen, das man bei einer Ungezogenheit ertappt, einer verbotenen Sendung auf dem eingeschalteten Fernsehgerät, und Denise sah mich auch tatsächlich mit einer Miene an, mit der man Kindern zu verstehen gibt, dass sie etwas Törichtes getan haben. Sie begrüßte mich nichteinmal, bevor sie fragte, was denn ich mich gefahren sei, einfach so aus meinem Haus zu verschwinden!
    Ich versuchte nachzudenken, aber mir fiel nichts ein. Ich konnte ihrer Streitlust nur mit ruhiger Selbstsicherheit begegnen. Es müsste noch Kaffee da sein, oder möchtest du lieber Tee oder kaltes Wasser? Kommst du direkt aus Lyon? Denise entschied sich für kaltes Wasser und nahm Platz. Sie sah sich um, betrachtete die gemütliche Einrichtung, die Pflanzen, die afrikanischen Stoffe, die Bibliothek, das ganze fröhliche, lebendige Durcheinander, als könne sie in Jades Wohnung die Gründe meiner Flucht ausfindig machen. Bestimmt hat meine Gelassenheit sie ihre eigene Nervosität spüren lassen. Ich bin sicher, dass es zwischen zwei Frauen einer Familie, die sich schon so lange kennen und von denen die eine die andere auf die Welt gebracht hat, eine geheime Sprache gibt. Ich sah sie mir in ihrer Stadtkleidung an. Der Stoff und der Schnitt ihrer Jacke und ihres Rocks waren die einer Frau, die in einem gewissen Wohlstand lebt. Ich sah sie wieder als kleines Mädchen, mit ihren störrischen Einfällen, was sie für die Schule anziehen wollte. (Manchmal stampfte sie sogar mit den Füßen auf.) Und später dann in ihrem eigenen, modern eingerichteten Haus, kahl, schwarz und weiß, klinisch.
    Bei all den Erinnerungen, die mich bestürmten, verlor ich nicht aus dem Blick, dass ich in diesem Moment die entflohene, ihr unbekannte Mutter war. Und ich merkte, dass sie bei aller Wut ein Bedürfnis nach Sicherheit hatte, was vermutlich mit dieser überraschenden Entdeckung zu tun hatte. Außerdem war ich noch nicht ganz aus meiner Lektüre wieder aufgetaucht. Meine Tochter erschien mir deshalb auch fast wie eine Figur, die plötzlichaus dem Nichts heraustritt wie in einem
coup de théâtre
, den ich mit den Augen einer Leserin verfolge, ohne selbst eine Rolle darin zu spielen. Ich servierte ihr also das Glas Wasser und wartete geduldig, bis die zweite Figur die Bühne betreten würde, und genau in diesem Augenblick

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