Frühstück um sechs
Larry stöhnte ich innerlich. Da ich wußte, daß sie keinen besaß, war mir auch klar, daß sie sofort Feuer und Flamme sein und gleich bunten Stoff kaufen würde. Und ich wußte auch, wer ihr dann schließlich den Rock schneidern würde.
Und richtig! — »Liebste, Beste, Anne sagt, dazu brauche man kaum länger als eine Stunde. Es muß bloß eine Menge Stoff in der Taille gefältet werden. Während du mir den Rock schneiderst, will ich für dich gern jede erdenkliche Arbeit erledigen.«
So fuhren wir denn vier Tage vor Weihnachten zur Stadt und kauften einen sehr farbenfreudigen Kattun und die vielerlei Kleinigkeiten, die einem stets noch einfallen, wenn man glaubt, schon an alles gedacht zu haben. Jedenfalls hatte ich das geglaubt, als ich sorgsam jedem, der uns zur Hochzeit ein Geschenk gemacht hatte, eine Weihnachtsgabe sandte. »Mein Gott«, hatte Paul gesagt, »das macht uns ja bankrott! Da kann ich mir vorläufig keine Hochzeit mehr leisten.« — Immerhin besaß ich noch viele sogenannte >kleine Aufmerksamkeiten< und >winzige Gaben< von Leuten, die ich schon vergessen hatte und von denen ich das gleiche hoffte. Larry ging es natürlich genauso, daher tauschten wir alle möglichen Sachen aus, um die >Schulden< begleichen zu können.
»Du kannst den Shakespeare-Kalender haben, den mir meine Kusine Lucy geschickt hat. Gerade das richtige für deine alte Oberlehrerin. Aber diese zwei Handtücher will ich nicht dafür, das ist zuwenig. Lieber die Puderdose hier.« In diesem Stil ging das vor sich. Man kennt das ja.
Gerade als wir abfahren wollten, war Mrs. Archer gekommen und hatte unsere Post gebracht. Für Larry war ein kleines Einschreibpäckchen dabei, das aufregend aussah, doch sie warf es nur gelangweilt vorn ins Handschuhfach. »Von Onkel Richard«, sagte sie. »Er zeigt sich zu Weihnachten immer recht nobel, der gute alte Knabe. Es ist aber bestimmt was Scheußliches. Wenn er mir doch lieber einen kleinen, runden Scheck schicken würde! — Nein, ich will’s nicht auspacken, dazu fühle ich mich nicht stark genug.«
Unsere Fahrt wurde zu dem gräßlichen Gehetze, das jeder bei Weihnachtseinkäufen in letzter Stunde erlebt: Eingekeilt in Massen müde aussehender Frauen und abgekämpfter Verkäuferinnen, bewegten wir uns mühsam zwischen den Waren, die schon reichlich >angefaßt< wirkten. Als wir uns am Wagen wiedertrafen, erschöpft, aber mit fast allen Besorgungen fertig, erklärte ich Larry, es sei nun Zeit, Onkel Richards Geschenk zu betrachten. Doch diese Aufforderung deprimierte sie noch mehr.
Und das Geschenk war wirklich greulich. Ein schwerer, goldener Anhänger in Form eines riesigen, abstoßend häßlichen Käfers mit Brillantsplittern als Augen. Larry stöhnte und wickelte das Ding wieder ein. »Noch schlimmer als sonst — und so aufdringlich. Schnell aus den Augen damit!«
Als wir zusammen frühstückten, öffnete sie plötzlich ihr Geldtäschchen und rief in tragischem Ton: »Nur noch einen Shilling und drei Pence, und dabei muß ich noch Geschenke für sechs gräßliche Leute besorgen. Wieviel hast du noch?«
»Hoffentlich genug, um unsern Lunch zu bezahlen. Warte, ich will’s mal zählen. Fünf Shilling sieben — oh, da ist noch ein halber, das wird dir auch nicht recht weiterhelfen.«
»Macht nichts. Weiß schon, was ich tue. — Nein, sei still, ich denke nach.« Das war ein warnendes Vorzeichen, besonders verstärkt, als sie zu denken aufhörte und zu lachen anfing. »Ich werde Onkel Richards Geschenk verkaufen! Ein Pfund muß es bringen. Es gibt hier einen Juwelier, der auch gebrauchte Sachen kauft, der wird’s bestimmt nehmen.«
»Das kannst du doch nicht machen, ein Geschenk verkaufen!«
»Als Geschenk gehört es mir, also kann ich darüber verfügen, wie ich will.«
»Aber du hast es doch eben erst bekommen!«
»Um so mehr Grund, es rasch wieder loszuwerden. Es ist ja noch nagelneu. Das werde ich dem Juwelier schon klarmachen.«
Aus ihrem berechnenden Blick schloß ich, daß Onkel Richard im Wert stieg.
»Aber wenn der Onkel dich nun fragt, wie es dir gefällt, und es sehen will?«
»Wird er nicht. Er kommt nie hierher. Einmal ist er erst zu Besuch gekommen und fand es furchtbar hier. Und wenn ich ihn mal besuche, kann ich leicht sagen, ich hätte vergessen, es mitzubringen.«
Ich gab zu, daß ihr das sehr leichtfallen würde. Überrascht war ich aber, daß ihr der Verkauf so leicht von der Hand ging. Ich blieb im Wagen sitzen, weil ich nicht Zeuge dieser
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