Frühstückspension: Kriminalroman
wäre ich gegen eine Mauer gelaufen. Scheiden lassen. Mit einem Schlag haben die Worte ihre berauschende Leichtigkeit verloren. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und bleibe stehen. Scheiden lassen, das wird ein langes Stück Weg, Teresa. Ein Weg, der dich noch einmal nach Hannover zurückführen wird, ob du willst oder nicht. Bislang bist du einfach nur weggelaufen.
Die Elektronik surrt und lässt die Tür aufspringen. Ich mache instinktiv einen Satz zur Seite. Mit hart klopfendem Herzen bleibe ich stehen.
Ein Bett wird an mir vorbeigeschoben. Ich starre auf das endlose Weiß. Konturen einer menschlichen Gestalt. Ein Körper ohne Gesicht. Völlig verdeckt von Laken. Wie eine Mumie.
Eine Leiche, wage ich zu denken. Schwerfällig löse ich meinen Blick von ihr, und ich sehe in das Gesicht des jungen Pflegers. Er lächelt mir still zu. Ein wenig aufmunternd und ein wenig entschuldigend. Das Bett fährt ohne Geräusche in den Fahrstuhl. So sehr rauscht das Blut in meinen Ohren.
Ich gehe wie auf Watte durch die offene Tür in die Schleuse. Im Spiegel sehe ich in mein Gesicht. Es ist grau, und mir ist übel. Bevor ich mich erholen kann, wird die Tür erneut aufgerissen. Der alte Mann vom Nachbarbett und Schwester Maike kommen herein. Er geht bedächtig, als müsse er jeden Schritt überdenken. Vor der kleinen Garderobe bleibt er stehen und wendet sich Schwester Maike zu:
»Ich danke Ihnen sehr. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft für Ihren Beruf.«
Seine Stimme ist ruhig und fest. Schwester Maike antwortet nicht. Sie hält nur seine Hand. Er zieht den grünen Kittel aus und hängt ihn sorgsam, als handele es sich um eine edle Robe, an den Haken zurück. Dann geht er, ohne sich noch einmal umzudrehen. Mich scheint er nicht erkannt zu haben. Dafür bin ich ihm dankbar.
Schwester Maike nimmt seinen Kittel vom Haken und stopft ihn in den Wäschesack. Mir reicht sie einen frischen. Ihre Hand berührt leicht meinen Arm:
»Nun kommen Sie. War kein erfreulicher Anfang, nicht wahr?«
Ich schüttele den Kopf und folge ihr. Am liebsten bis in das kleine Stationszimmer.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«, fragt sie.
Ich nicke dankbar. Dabei bin ich nicht durstig, aber eine Tasse Kaffee klingt so herrlich normal und gibt mir noch einen Augenblick Aufschub, bevor ich zu ihm gehen muss.
»Mit Milch und Zucker?«
»Nur mit Milch! Wenn’s geht, keine Kondensmilch«, antworte ich mechanisch. Schwester Maike lächelt: »Die mag ich auch nicht.«
Sie bringt mir einen Becher und weist auf einen Hocker. »Setzen Sie sich einen Augenblick. Wir sind gleich fertig. Dann können Sie zu Ihrem Mann gehen.«
Ich setze mich und lasse ›Ihrem Mann‹ in mir nachklingen. Es beschämt mich. Die junge Schwester ist mir so nah. Ich wünschte, dass ich wenigstens ihr die Wahrheit sagen könnte.
Im Hintergrund klingelt das Telefon. Es hat einen unangenehmen Ton. Eine andere Schwester nimmt den Hörer ab.
Wenig später ruft sie: »Maike?«
Von weiter hinten kommt ein gedämpftes »Ja!«
»In der Ambulanz liegt eine massive Blutung. Jahrgang 61. Kommt in deine Einheit. Dauert aber noch. Sie wird gleich operiert. Und stell dir vor, das ist morgens beim Poppen passiert. Schrecklich, nicht wahr? Der Mann sitzt auch unten und ist völlig fertig. Dazu ist noch alles Mögliche schiefgelaufen. Dieser Penner von Sievers läuft bei denen in der Gemeinde als Landarztvertretung herum. Der Idiot hat in den Magen intubiert und Unmengen Luft reingebeutelt. Einige Namen sollte man sich wirklich eintätowieren lassen. Von dem nicht und von dem schon gar nicht.«
Die Stimme der Schwester ist kräftig und erinnert an eine Moderatorin, die mit Enthusiasmus eine Vollsperrung auf der Autobahn ansagt. Ich komme nicht umhin, alles mit anzuhören. Obwohl ich nur die Hälfte verstehe, ist es mir unangenehm. Ich lehne mich dicht an die Wand, damit die Schwester nicht an meine Gegenwart erinnert wird.
Schnelle Schritte, und ich fühle mich ertappt wie eine Spionin. Es ist Schwester Maike. Ihr Gesicht ist flammend rot. Ihre Augen blank, wie im Fieber. Ich weiche ihrem brennenden Blick aus und stehe auf. Aber sie nimmt mich gar nicht wahr. Mit seltsam hölzernen Bewegungen beginnt sie, einen Rollstuhl von einem Ende des Flures an das andere zu schieben. Ihre Unruhe greift auf mich über und ich möchte hier weg.
Aus dem Krankenzimmer kommt eine Putzfrau. Sie schiebt Eimer und Wischer auf einem fahrbaren Gestell vor sich her.
»Ist fertig, Frau«,
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