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Frühstückspension: Kriminalroman

Frühstückspension: Kriminalroman

Titel: Frühstückspension: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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nickt sie mir zu, und ich husche eilig an ihr vorbei in das Zimmer. Dabei geht mir Schwester Maike nicht aus dem Kopf. Was hat sie so in Aufruhr versetzt? Die Tatsache, dass ein Zugang erwartet wird, kann es nicht sein. Diese Situation ist sie gewohnt. Sie arbeitet schon seit fünf Jahren auf der Intensivstation. Das hat sie mir erzählt. Ist diese Frau in der Ambulanz vielleicht eine Bekannte oder Verwandte? Schwester Maike kommt aus Hannover. Das hat sie auch erzählt. Und sie ist nicht verheiratet.
    Die Tür schließt sich hinter mir. Ich bin mit ihm allein im Zimmer, und ich habe keine Energie mehr für fremde Gedanken. Er liegt auf der linken Seite. Umrahmt von dem mittlerweile vertrauten Bild aus Schläuchen und Apparaturen.
    So schnell geht das, denke ich und versuche, den leeren Platz neben seinem Bett zu ignorieren. Sowie meine Angst.
    Ich setze mich auf einen Hocker und nehme seine Hand. Sie fühlt sich warm und lebendig an. Das gleichmäßige Pumpen der Maschinen beruhigt mich heute nicht. Im Gegenteil. Mit jedem künstlich gesteuerten Atemzug wird mir bewusster, dass ich mich nicht weiter verstecken kann. Ich habe ihn mitgenommen, und ich trage die Verantwortung. Meine Hand streicht über seine, und ich hoffe, dass er keine Schmerzen hat. Wenigstens keine Schmerzen. Aber wer kann mir diese Frage mit Sicherheit beantworten?
    »Mitgefangen – mitgehangen, hat meine Mutter immer gesagt.«
    Der Klang meiner Stimme lässt mich ein wenig ruhiger werden.
    »Meine Mutter«, wiederhole ich.
    »Ich sage dir, ich werde alt. Ein sicheres Zeichen, wenn man gedankenlos die Sprüche seiner Eltern wiederholt. Man sollte sich sehr genau überlegen, was man seinen Kindern erzählt. Sie tragen es weiter in die Welt.
    Ich würde dir gerne eine Geschichte erzählen. Eine, die dich interessiert. Meine Mutter konnte sehr gut erzählen. Sie hätte dich nicht gelangweilt. Ihre Geschichten waren oft erfunden. Ganz spontan konnte sie sich auf einen neuen Zuhörer einstellen und hat genau erspürt, welche sie für ihn auswählen musste. Leider war sie zum Schreiben zu ungeduldig. Langsamkeit war nicht ihre Geschwindigkeit. Ihre Gedanken hätten vom Kopf zeitgleich auf das Papier fließen müssen. Dann vielleicht.
    Ich dagegen liebe es, Briefe zu schreiben. Mich in Ruhe an den Schreibtisch zu setzen, alle Requisiten um mich zu sammeln. Das ist wie ein Ritual. Ich mag schönes Briefpapier, richtig edles, das sich glatt unter den Fingern anfühlt, ein wenig wie Seide. Zum Schluss gebe ich einen Tropfen Parfüm auf den Umschlag. Manchmal einen Aufkleber, wenn ich einen besonders hübschen habe. Aber ich kannte nie viele Menschen, denen ich einen Brief hätte schreiben können.
    Einfach nur zu schreiben, macht mir keine Freude. Ich habe auch nie Tagebuch geführt. Ich brauche eine Adresse. Auch in Gedanken. Genau wie ich beim Spazierengehen gerne ein Ziel habe.«
    »Frau Garbers?«
    Die Stimme der Schwester ist direkt hinter mir. Ich fahre zusammen. »Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken«, entschuldigt sie sich. »Der Oberarzt würde Sie gern noch einmal sprechen.«
    »Jetzt gleich?«, frage ich irritiert, und die Angst ist wieder da.
    »Wenn möglich ja«, meint sie und nimmt das Krankenblatt von seinem Bett und beginnt mit den üblichen Eintragungen. Ich nicke und drücke seine wehrlose Hand.
     
    Das Oberarztzimmer liegt auf dem Flur vor der Intensivstation. Meine Schritte werden vom Teppichboden verschluckt, und ich setze mich auf den bequemen Stuhl vor seinem Schreibtisch. Was will er von mir? Warum schon wieder ein Gespräch? Was haben sie herausgefunden? Bleib ruhig, Teresa. Es hat einen medizinischen Grund. Sonst säße mit Sicherheit noch jemand von der Polizei mit im Zimmer.
    Doktor Werner begrüßt mich mit sachlicher Freundlichkeit. Er hat kurzgeschorene Haare und ein Jungengesicht. Unmöglich, sein Alter zu schätzen. Wie alt muss man sein, um Oberarzt werden zu können? Diese Gedanken normalisieren meinen Pulsschlag, und ich halte seinem klaren Blick stand.
    »Frau Garbers«, setzt er an und räuspert sich. Es hört sich an wie ein imaginärer Hustenreiz.
    »Frau Garbers«, wiederholt er nochmals, als wolle er tiefer in mein Bewusstsein vordringen.
    »Ich hab Ihnen schon bei unserem ersten Gespräch erklärt, dass die Blutung bei Ihrem Mann sehr ungünstig liegt. Sie ist leider inoperabel. Gestern haben wir noch einmal diverse Untersuchungen laufen lassen, und ich kann und will Ihnen da absolut keine Hoffnung

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