Frühstückspension: Kriminalroman
spezielle. Aber ich habe keine Lust, sie durchzublättern, und entscheide mich für einen klassischen Milchkaffee.
»Ich würde gerne Weißwein trinken«, gibt Maike zu und zieht ihre Schultern hoch.
»Ist das ein Problem für Sie?«
Ich schüttele irritiert den Kopf: »Warum? Wegen der Uhrzeit?«
»Ja, auch. Und überhaupt, wegen der Situation. Nach allem, was Sie gerade miterlebt haben, passt es, wenn ich auch noch Alkohol trinke. Dabei gibt es nichts zu feiern.«
Ich schüttele noch einmal den Kopf: »Es stört mich wirklich nicht.«
Maike lächelt mich an, und dieses Lächeln ist unwiderstehlich. Unsere Getränke werden serviert. Ich schütte mir großzügig Zucker über den Milchschaum und löffele ihn ab, ohne vorher umzurühren.
Maike trinkt bedächtig ein paar Schlucke von ihrem Wein und sieht dabei aus dem Fenster. Wir reden nicht. Sie braucht sicher Zeit. Vielleicht findet sie keinen Anfang für ihre Geschichte. Den zu finden, würde mir auch schwerfallen. Wann hat meine angefangen? Sicher nicht erst vor acht Tagen.
Vielleicht bereut Maike längst, dass sie mir eine angekündigt hat. Ich war auch froh, als Tomke nach meinen ersten Geständnissen nicht nachgebohrt hat.
Und Maike? Sie hat kommentarlos hingenommen, dass der Mann auf der Intensivstation nicht mein Ehemann ist. Obwohl er unter seinem Namen geführt wird.
Aber worüber könnte ich mit Maike sonst reden? Ich kann sie jetzt nicht einfach nach ihren Hobbys fragen. So ein Geplänkel würde nicht mehr zu uns passen.
»Ich erwarte keine Sensationsgeschichte«, sage ich aus meinen Gedanken heraus.
Maike sieht mir direkt in die Augen: »Ich habe auch keine zu bieten.«
Dabei umfasst sie ihr Weinglas mit beiden Händen.
»Meine Geschichte eignet sich eher für einen Groschenroman.«
Sie trinkt ihr Glas halb leer.
»Ich brauche eine Linie«, beginnt sie zu erklären. »Eine Linie und einen Anfang und vor allem ein Ende von etwas.«
»Ich denke, das brauchen wir alle«, sage ich überzeugt.
»Ich weiß nicht.« Maike sieht mich zweifelnd an. »Bei manchen Menschen scheint es, als funktionierten sie immer. Sie können einfach so weitermachen. Egal, was geschehen ist. Sie machen einfach klick, und du bist raus aus ihrem Leben. Ohne noch einmal darüber reden zu müssen. Aber davon werde ich verrückt.«
»Die anderen auch«, sage ich leise. »Sie merken es nur nicht.«
Oder sie verdrängen, denke ich. Bis zu dem Augenblick, in dem sie der Wahrheit nicht mehr ausweichen können. Dann kommen die Erinnerungen mit aller Macht. Genau dort bin ich gerade angekommen.
Ich wollte für Reinhard einen Anzug in die Reinigung bringen. Meine Hände suchten routiniert die Taschen nach gebrauchten Taschentüchern ab. Da fand ich den Zettel. Eine zierliche Handschrift. »Ich freue mich auf unsere gemeinsamen Urlaubstage. Ich liebe dich. Deine Chris.«
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mit dem Papierfetzen in der Hand dagestanden habe. Kann sein, bis zum Abend, als Reinhard nach Hause kam.
Ich war wie gelähmt und konnte nicht denken. Mir nicht zurechtlegen, wie ich mit ihm reden sollte. Geschweige denn eine Nacht darüber schlafen, um taktisch klüger zu agieren.
Als er durch die Tür kam, habe ich im Flur gestanden und sofort eine Erklärung gefordert. Ihm den Zettel wie einen Schutzschild entgegengehalten.
Ich hatte keine Angst. An diesem Tag hätte ich eine Trennung gewollt, verkraftet. Es wäre der richtige Zeitpunkt gewesen. Das muss er gespürt haben.
Reinhard war blass. Sein Gesicht noch kantiger. Aber er stritt nichts ab. Er ging ungewöhnlich bereitwillig auf meine Fragen ein.
»Wie lange schon?«
»Zwei Jahre.«
Die Zahl hallte in meinem Kopf wider. Zwei Jahre!
»Und nun?«
Reinhard sah mich an. Nicht zärtlich oder liebevoll. Er sah mich nur lange an.
»Ich werde es heute Abend beenden.«
So, wie er das sagte, wusste ich, dass ich ihm glauben konnte. Zuerst war in mir nur Erleichterung. Für kurze Zeit hielt ich mein Gefühl sogar noch einmal für Glück. Dann kamen die nächsten Fragen. Heftiger als zuvor, wie eine heiße Welle. Sie blieben alle unbeantwortet.
Sie haben mich gequält. Ich konnte nur noch denken: Zwei Jahre lang habe ich eine Ehe zu dritt geführt und es nicht bemerkt. Mein Leben ist in den gewohnten Bahnen verlaufen. Reinhard und ich haben zusammen geschlafen. Nicht seltener als zuvor und nicht anders. Das hat mich am meisten verletzt. Verletzt und verunsichert. Ich hatte keinen Unterschied bemerkt. Kein
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