Frühstückspension: Kriminalroman
Herz macht wieder Stolpersprünge.
»Aber Ihr Mann liegt auf der Intensiv, und er …«
Sie stockt. »Und meine Geschichte wird Sie auch nicht gerade aufheitern.«
»Das ist nicht mein Mann«, rutscht mir heraus und ich bin froh darüber.
»Ihr Freund«, meint Maike verstehend.
»Nein«, antworte ich fest. »Nein, ich kenne diesen Mann überhaupt nicht.«
Wir haben uns am Hintereingang verabredet. Ich bin in gelassener Stimmung. Dabei müssten mich die Ereignisse der letzten Stunde komplett durcheinandergebracht haben. Aber im Gegenteil: Meine Gedanken sind klar wie lange nicht mehr. Als wäre ich aus einer zähflüssigen Masse aufgetaucht.
In der Halle registriere ich das öffentliche Telefon und verlangsame meine Schritte.
Sandra. Ich muss sie anrufen. Aber was soll ich ihr erzählen? Ich bin von zu Hause weggelaufen. Hals über Kopf und ohne Plan. Als wäre ich gerade 18 und nicht 49. Nun bin ich in Wilhelmshaven. Schon über eine Woche. Auf dem Weg hierher hatte ich einen Unfall, und ein Mann – nein, du kennst ihn nicht – liegt unter Reinhards Namen auf der Intensivstation. Warum ich es so weit habe kommen lassen? Ich könnte ihr keine plausible Antwort darauf geben. Sandra hat kein Verständnis für Situationen, in die man gerät, weil man zu langsam reagiert. Bei ihr war immer alles klar.
Nein, ich kann Sandra noch nicht anrufen. Vorher muss ich mit Reinhard sprechen. Ein Telefongespräch vorab könnte unser Wiedersehen entschärfen. Außerdem bräuchte ich nicht in sein Gesicht zu sehen, wenn ich die Scheidung fordere. In dem sich Spott und Wut abwechseln werden, wenn er mich fragt, ob ich meinen Verstand verloren hätte. Scheidung! In deinem Alter! Mach dich doch bitte nicht lächerlich! Was erwartest du? Eine große Liebeserklärung nach all den Jahren? Scheidung? Wirklich lächerlich! Mit fast 50. Und dann?
»Und dann?«, wiederhole ich leise. Genau der Gedanke hat mich viel zu lange ausgebremst. Entschlossen wähle ich unsere Nummer. Als ich das Rufzeichen höre, fängt mein Herz an, schneller zu schlagen. Bis zu diesem Augenblick waren meine Pläne reine Theorie, nur eine Konstruktion aus Gedanken. Mit den ersten ausgesprochenen Worten werden sie Wirklichkeit.
Wie wird er reagieren? Vielleicht erleichtert, weil ich ihm die Entscheidung abgenommen habe. Das wäre angenehm.
Aber warum sollte Reinhard die Scheidung wollen? Nur weil ich ihn langweile? Warum sollte er kampflos seine Bequemlichkeit aufgeben? Bleibt nur noch zu hoffen, dass es eine neue Frau gibt, die ihn wirklich haben will. Der Gedanke erschreckt mich, weil er kalt ist und ohne Liebe.
Der Anrufbeantworter springt an: »Wir sind zurzeit an der Nordsee.«
Das ist meine Stimme. Sie klingt dünn. Man hört ihr deutlich die Erregung an. Ich lege noch vor dem Piep den Hörer wieder auf und bleibe stehen. Wir sind zurzeit an der Nordsee, klingt es in meinem Kopf nach. Ganz schön leichtsinnig. Geradezu eine Einladung zu einem Einbruch.
Genau das wird auch Reinhard mir vorhalten. Ärgerlich schüttele ich den Kopf. Reinhards Kommentar ist nicht mehr interessant.
Ich habe es aus Verzweiflung auf das Band gesprochen. Vielleicht ein letztes Mal aus einer Hoffnung. Dabei habe ich schon auf der Autobahn gespürt, dass es zu Ende ist. Ich habe, ohne es zu wissen, darauf gewartet, dass er mir einen Anlass bietet. Einen zweiten, der meine Energie für eine längst überfällige Reaktion freisetzt und mich von der elenden Angst befreit. Angst, mich zu trennen und ohne Reinhard zu leben. Nicht nur allein, auch mittellos. Ich habe nichts gelernt.
Aber es wird gehen. Ich denke an das Angebot von Ulla, in ihr Café mit einzusteigen. Oder putzen, denke ich trotzig. Das habe ich jedenfalls gelernt.
Die Angst, mir mein Versagen einzugestehen, so lange einen Irrtum gelebt zu haben. Aber am größten ist die Angst, Sandra gegenüberzutreten. In ihre klaren, manchmal so strengen Augen zu sehen und zu sagen: Ich will mich von deinem Vater scheiden lassen!
Sandra, die vielleicht nicht sagen, aber sicher denken wird: Du bist verrückt geworden. So einen Mann wirst du nie wieder bekommen!
Will ich auch nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt einen anderen Mann haben will. Sie wird nicht verstehen, dass ich es einfach nicht mehr hinnehmen kann. Dabei wünsche ich mir so sehr ihr Verständnis.
Und dann ist da noch die Angst, Mitleid mit Reinhard zu haben. Wie wird er allein zurechtkommen? Er hat immer nur gearbeitet. Den Rahmen habe ich
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