Frühstückspension: Kriminalroman
ihm gegeben.
Was hätte meine Mutter gesagt? So ein Ende habe ich dir schon vor 30 Jahren prophezeit! Nein, das hätte sie nicht gesagt. Sie war nicht selbstgerecht. Vielleicht hätte sie nicht verstanden, dass ich so lange mit der Entscheidung gewartet habe. Vielleicht hätte sie ›na endlich‹ gesagt und mich breit angegrinst. Mit Sicherheit hätte sie eine Flasche Sekt geöffnet und mit mir auf das neue Leben angestoßen. Sie hat Reinhard nie gemocht.
Zum ersten Mal vermisse ich meine Mutter.
Bevor dieses ungewohnte Gefühl mich zu sehr einnimmt, gehe ich nach draußen.
Der Wind hat sich gelegt. Die Sonne scheint. Das Wetter erinnert eher an einen launischen Apriltag als an einen Tag fast Anfang Dezember. Ich gehe um das Gebäude herum. Dort ist ein kleiner Park für die Patienten. Ich setze mich auf eine Bank. Dicht neben mir fahren die Krankenwagen die Ambulanzeinfahrt hoch.
Maike lässt mich nicht lange warten. Mit eiligen Schritten kommt sie auf mich zu. Eine bezaubernde junge Frau, denke ich. Sie trägt Jeans und einen flauschigen rosa Rollkragenpullover. Er unterstreicht die zarte Farbe ihrer Haut. Ihre Jacke trägt sie lässig über dem Arm. Mit der anderen schlenkert sie grüßend einen Rucksack. Sie setzt sich neben mich und hält sehnsüchtig ihr Gesicht der Sonne entgegen.
Ich betrachte sie von der Seite. In ihrer privaten Kleidung wirkt sie noch jünger. Mir wird bewusst, dass ich mich mit einer Frau verabredet habe, die im Alter meiner Tochter ist. Unmöglich, sie hier mit Schwester Maike anzusprechen.
»Wie heißen Sie eigentlich mit Nachnamen?«, frage ich.
Sie hält schützend eine Hand über die Augen und lächelt mich an: »Baumann, aber sagen Sie bitte Maike zu mir.«
»Gerne, wenn Sie Teresa sagen.«
Sie nickt und hält ihr Gesicht mit geschlossenen Augen wieder in die Sonne.
»Wollen wir hierbleiben?«, frage ich, weil ich nicht weiß, wie unsere Unterhaltung beginnen soll, und auch nicht mehr sicher bin, ob es eine gute Idee war, mich mit ihr zu verabreden.
Maike schüttelt entschieden den Kopf und setzt sich gerade hin.
»Nein, ich würde gerne etwas trinken. Aber nicht im Krankenhauscafé.«
»Ich habe mich im Café ›Bar Celona‹ verabredet«, schlage ich vor.
»Dann haben Sie nicht viel Zeit?«
Ich höre ihre Enttäuschung und merke, dass sie mich freut. Ich muss aufpassen, mich nicht zu sehr in diese junge Frau zu vernarren.
»Doch, habe ich. Ich bin erst in zwei Stunden verabredet. Ich wollte eigentlich länger bei meinem Mann bleiben.«
Jetzt sieht mich Maike irritiert an und ich spüre, dass ich rot werde. Mein Mann, denke. Ich habe die Geschichte schon zu lange zu meiner Wahrheit gemacht. Es wird Zeit, aus dem Lügengespinst herauszukommen.
»Ich meine, bei Jochen.« Zum ersten Mal spreche ich seinen Namen aus.
»Sie kennen ihn also doch?«, stellt Maike überrascht fest. Mir wird schwindelig unter ihrem prüfenden Blick. Sie wollte mir doch ihre Geschichte erzählen. Warum will sie meine so genau wissen? Aber nun habe ich davon angefangen. Nicht schon wieder die nächste Lüge.
»Ja und nein«, antworte ich langsam. »Ich habe Jochen als Anhalter mitgenommen. Alles, was ich von ihm weiß, ist, dass er keinen festen Wohnsitz und keine Angehörigen hat. Und ich kenne seinen Vornamen.«
Ich schlucke.
»Und dass er sich ein Seebegräbnis wünscht, weil er immer eine lange Reise auf einem Schiff machen wollte und nie dazu gekommen ist.«
Die Worte des Oberarztes fallen mir ein, und plötzlich ist mir klar, dass Jochen gewusst hat, dass er sehr krank ist.
Maike sieht mich noch eine Zeitlang nachdenklich an, aber sie glaubt mir. Das spüre ich.
»Okay«, sagt sie, ohne noch weitere Fragen zu stellen.
»Fahren wir ins ›Bar Celona‹! Oder wollen wir zu Fuß gehen?«
»Nein, ich bin mit dem Auto hier.«
6
Wir betreten die Nordsee-Passage durch den Eingang am Busbahnhof. Maike kennt sich aus. Das ist angenehm. Mit der Rolltreppe fahren wir in die erste Etage und gehen links in das Café ›Bar Celona‹.
Die Einrichtung ist schlicht. Buchenholz mit schwarzen Ledersitzen. Auf den runden Tischen brennen weiße Stumpenkerzen. Zielsicher steuert Maike an den Tischen im vorderen Eingangsbereich und dem großzügigen Tresen vorbei auf die Fensterfront zu. Die nimmt mit ihrer Helligkeit die ganze Rückwand ein.
»Ein freier Tisch am Fenster«, freut sich Maike und beschleunigt ihre Schritte.
Der Tisch ist mit Karten übersät. Für jedes Getränk eine
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