Frühstückspension: Kriminalroman
Zeichen, an dem ich mich hätte orientieren können.
Und Reinhard redete nicht mit mir darüber. Er tat so, als wäre nie etwas geschehen. Wie sollte ich mich da je wieder beruhigen können?
Maike sieht wieder versonnen aus dem Fenster. Über den Busbahnhof auf einen Park und weiter in den Himmel.
»Warum sind Sie nach Wilhelmshaven gezogen?«, frage ich, um ihr eine Brücke zu schlagen und weil es mich interessiert.
Sie sieht mich an und wiederholt: »Warum Wilhelmshaven? Ich liebe die Küste und den Jadebusen besonders.«
Jetzt lacht sie. Das irritiert mich.
Ihr Weinglas ist leer. Sie nimmt es und hält es hoch. Dabei sucht sie Blickkontakt mit der Bedienung. Die versteht, und Maike wendet sich wieder mir zu. Sie sieht unsicher auf meine Kaffeetasse.
»Sorry, wollten Sie auch noch ein Getränk?«
Bevor sie auch meine Tasse durch die Luft schwenkt, sage ich: »Ich kann bestellen, wenn Sie Ihren Wein bekommen.«
Maike lässt sich auf dem Stuhl zurückfallen. Sie faltet die Hände über ihrem Bauch und atmet tief durch.
»Ich wollte schon immer Krankenschwester werden. Meine Eltern haben es geliebt, davon zu erzählen. Schon als ganz kleines Mädchen habe ich meine Puppen verarztet. Manchmal habe ich sie dafür vorher auseinandergenommen. Später mussten meine Freundinnen herhalten. Ich habe ihnen Verbände verpasst und sie ins Bett gesteckt. Fieber gemessen, ihnen mit Waschlappen die Stirn gekühlt und ihnen Kräutertees eingeflößt.
Das war besonders im Sommer ein Härtetest für ihre Freundschaft. Ich habe Arztromane verschlungen. Meine Oma hatte genug davon herumliegen. Später habe ich keine Krankenhausserie verpasst. Meine Tagträume verbrachte ich in einem dieser fantastischen Teams, mit gutaussehenden Ärzten und hilfsbereiten Krankenschwestern, und rettete Leben. So richtig klassisch.«
Sie sieht in mein lächelndes Gesicht und fragt: »Was wollten Sie als Kind werden?«
»Stewardess«, gebe ich zu. »Als der Beruf noch so hieß. Sie haben mich beeindruckt in ihren schicken Kostümen. Sie waren alle wunderschön und wirkten dabei so unnahbar. Das hat mir gefallen. Außerdem wollte ich immer viel reisen.«
Ich zögere und spreche weiter: »Gelernt habe ich dann letztendlich gar nichts. Meine Ausbildung zur Hotelfachfrau habe ich abgebrochen, als ich schwanger wurde.«
Maike sieht mich ruhig an. Ohne Spott und ohne verständnislos zu fragen, warum ich die Ausbildung nicht trotz der Schwangerschaft beendet habe. Und vor allem ohne zu fragen, warum ich es in den vielen Jahren nicht nachgeholt habe. Das tut gut.
Ob Sandra einer Frau in meinem Alter so gut zuhören könnte? Ihr zuhören und das Gehörte kommentarlos stehen lassen könnte? Wohl kaum, wenn sie so eine unspektakuläre Vergangenheit hätte wie ich. Sie hätte nur Verständnis für interessante Probleme, eine Missstimmung nach einer Fehlkalkulation, eine Denkblockade, vielleicht auch für das Burn-out einer gestressten Berufstätigen.
Ich erschrecke über meine Gedanken. Sie sind nicht fair. Ich habe nie ernsthaft versucht, Sandra etwas zu erklären. Sie hat mich mit ihrer Selbstsicherheit zu sehr eingeschüchtert.
»Das Gymnasium habe ich nach der zehnten Klasse abgebrochen«, holt Maikes Stimme mich wieder an den Tisch ins ›Bar Celona‹ zurück.
»Dabei hatte ich gute Zeugnisse. Aber ich sah keinen Sinn darin, mein Abitur zu machen. Das war die erste ernsthafte Auseinandersetzung mit meinen Eltern. Sie dauerte nicht lange. Ich konnte sie überzeugen. Sie vertrauten mir, weil bei mir immer alles so klar gewesen ist.«
Maike zieht die Nase kraus, und ihre Sommersprossen tanzen. Ich betrachte sie liebevoll.
»Ich kann Ihre Eltern verstehen. Sie machen einfach den Eindruck, immer alles im Griff zu haben.«
Sie sieht mich zweifelnd an, und ich muss wieder an den Mann im Keller und an ihre Tränen denken.
»So kann man sich täuschen«, sage ich und versuche ein schiefes Lächeln. Es gelingt mir nicht.
Ihr Getränk wird serviert. Ich bestelle mir eine Weißweinschorle. Eine kann ich mir erlauben.
»Ja, so kann man sich täuschen. Ich war immer die Robuste in unserer Familie. Als Kind ziemlich mollig. Immer mit roten Wangen. Auch wenn ich krank war.«
»Das kann ich mir kaum noch vorstellen. Sie wirken so zart.«
Maike lacht verlegen und trinkt einen Schluck Wein.
»Haben Sie Kinder?«
»Ja, eine Tochter.«
»Wie alt?«
»28 Jahre.«
»So alt wie ich.«
Meine Schorle wird gebracht. Maike nimmt ihr Glas und stößt
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