Frühstückspension: Kriminalroman
Ausgang für Unbefugte, und ich warte, dass sich die Türen wieder schließen. Da höre ich erneut seine zornige Stimme.
»Was willst du noch von mir?«
»Mit dir reden.« Schwester Maike ist so leise, dass ich sie kaum verstehen kann. Mit wild klopfendem Herzen steige ich aus.
Die Stimmen kommen von links. Dort verläuft der Kellergang in einer Biegung nach rechts. Ich gehe langsam weiter.
»Mit dir reden!«, äfft er sie höhnisch nach. Der Klang seiner Stimme lässt meine Unsicherheit vergessen. Entschlossen gehe ich weiter.
An einer großen Doppeltür steht ›Obduktion‹. Davor liegt eine blutverschmierte Plastikfolie wie eine abgezogene Haut. Aufkommender Ekel lässt mich für einen Augenblick erstarren. Da höre ich wieder seine wütende Stimme und gehe weiter.
»Was gibt’s denn noch zu besprechen? Ich werde dir sagen, was du willst. Mich fertigmachen! Einfach nur fertigmachen! Aber nun ist Schluss mit diesen Kleinmädchen-Spielen, verstehst du? Schluss! Ein für alle Mal!«
Mittlerweile schreit er. Glaubt, im Keller hat er keine Zuhörer, denke ich grimmig. Von Schwester Maike höre ich keinen Ton mehr und bekomme Angst. Mittlerweile renne ich. An der nächsten Ecke ist der Weg zur Zentralküche ausgeschildert. Dieser Keller ist ein Labyrinth.
Als ich sie endlich atemlos erreiche, steht sie erschöpft an eine Wand gelehnt. Ich sehe mich um, aber von dem Mann ist nichts zu entdecken. Sie ist allein.
Ihr Gesicht ist leichenblass, aber sie weint nicht. Wie in Trance sieht sie durch mich hindurch.
»Schwester Maike?«, frage ich so vorsichtig, als spräche ich mit einer Mondsüchtigen, die sich auf einem hohen Dach befindet.
»Frau Garbers?« Sie spricht meinen Namen aus, als zweifele sie gerade an ihrer eigenen Wahrnehmung.
Ich kann nur nicken, weil ich plötzlich einen imaginären Kloß im Hals habe.
»Sie sehen aus, als wären Sie einem Gespenst begegnet«, würge ich endlich mühsam heraus.
»Das bin ich auch«, sagt sie und fährt sich mit beiden Händen über ihr Gesicht, als wollte sie es waschen oder die letzten Minuten in ihrer Erinnerung löschen.
Übergangslos schwimmen ihre Augen in Tränen. Sie laufen ihr langsam über das Gesicht. Ohne, dass sie dabei das geringste Geräusch von sich gibt. Das berührt mich. Ich würde sie gern in den Arm nehmen und bleibe stocksteif ihr gegenüber stehen.
Lasse sie still weinen und warte, bis sie sich ein Taschentuch aus ihrer Kitteltasche zieht und geräuschvoll hineinschnieft.
»Ich habe Sie mit dem Mann beobachtet. Zufällig. Ich habe geglaubt, Sie sind in Gefahr«, sprudelt es aus mir hervor. Immerhin sollte sie eine Erklärung bekommen, warum wir uns hier im Keller begegnet sind.
Die junge Frau sieht mich lange an und ich glaube schon, sie hätte mich nicht gehört. Dann geht ein Lächeln über ihr Gesicht.
»Sie wollten mir helfen? Das ist unglaublich lieb von Ihnen.
Leider gibt es nichts mehr zu helfen. Es ist vorbei.
Sie haben es ja gehört. Die Kleinmädchen-Spiele sind vorbei.«
Bei den letzten Worten kommt wieder Farbe in ihre Wangen, und ihre Stimme klingt lebhafter.
»Kleinmädchen-Spiele«, wiederholt sie wütend. »So ein dämliches Wort. So ein dämliches Arschloch.«
Sie sieht mich erschrocken an und wird rot.
»Entschuldigung. Sie haben sich Sorgen gemacht und ich …«
Sie sucht nach Worten.
»Lassen Sie uns über etwas anderes reden. Es ist alles in Ordnung«, fügt sie beschwichtigend hinzu. Dabei sieht sie mich gerade an und hat nun wieder das professionell-freundliche Gesicht der Schwester Maike, das ich kenne.
»Ich habe gleich Feierabend. Überstunden abbauen. Wir sind heute überbesetzt. Eine Seltenheit. Lassen Sie uns einen Kaffee trinken gehen.«
Wir gehen gemeinsam die Schräge zum Fahrstuhl hinauf.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie können darüber reden. Ich halte das aus«, widerspreche ich, weil ich genau fühle, dass absolut nicht alles in Ordnung ist und sie sicher keine Lust auf einen netten Kaffeeplausch hat.
Sie sieht mich zweifelnd von der Seite an.
»Sie haben doch im Augenblick genug eigene Sorgen.«
Ich höre deutlich, wie gerne sie mein Angebot annehmen würde, wenn wir uns an einem anderen Ort kennen gelernt hätten.
»Ich kann trotzdem zuhören«, widerspreche ich sanft.
»Arbeiten Sie in einem sozialen Beruf? Seelsorgerin?«, fragt sie und probiert ein kleines, schräges Lächeln.
»Nein, aber ich mag Sie.«
Jetzt werde ich rot.
»Ich Sie auch«, sagt sie leise und mein
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