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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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und fortan unerschütterlichen Mädchen der starke Schutzgeist ihrer Mutter stecke. Ja, dass der Geist der Mutter im Augenblick ihres Todes wahrhaftig in die Kleine gefahren sei. Und dass er ja keine weite Reise gehabt habe, nur von einem Zimmer ins andere.
    Frida war die Jüngste im Haus. Neben ihren drei Schwestern, ihren beiden Brüdern und ihren Großeltern, war es besonders ihr schweigsamer Vater, der sich um sie kümmerte. Einmal nahm er zärtlich eine lose Wimper von ihrer Wange und erzählte Frida, dass sie nun einen Wunsch frei habe, der mit Sicherheit in Erfüllung gehen werde. Sie müsse nur die Wimper auf ihren Zeigefinger legen und sie mit einem festen Atemstoß davonblasen. Dieser Aberglaube gefiel Frida so gut, dass sie nicht mehr aufhören wollte, nach losen Wimpern Ausschau zu halten. Weil lose Wimpern aber nun einmal nicht sehr häufig zu finden sind, und schon gar nicht welche von fünfjährigen Mädchen, griff ihr Vater zu einer kleinen Notlüge – und in seine Nase. Dort fanden sich büschelweise Haare, die gut als Wimpern durchgingen. Nachdem er die Wurzel eines seiner Nasenhaare mit dem großen Küchenmesser abgehackt hatte, streichelte er der kleinen Frida wie beiläufig über die Wange und dann freute er sich mit ihr: »Do schpaun au! Do is jo a Wimper!«*
    Jahre später, als Frida längst von der liebevollen Gewohnheit ihres Vaters wusste und jener vom Wissen seiner Tochter, ließ Frida es sich gerne gefallen, wenn der Vater ihr schmunzelnd über die Wange strich – und ihr feierlich eines seiner Nasenhaare überreichte. Sie platzierte es dann, wie es sich gehörte, auf die Spitze ihres linken Zeigefingers, konzentrierte sich auf ihren Wunsch, kniff die Augen zusammen und blies ihre ganz persönliche, ganz besondere Wimper in die Welt.
     
    Es war nach einem dieser unendlich scheinenden Waldviertler Winter, als die Tage endlich länger wurden und der Morgenreif den Schweif der Füchse nicht mehr weiß färbte, da ging Fridas Familie im Geleit mit den Familien der zwei ältesten Schwestern wieder auf Reise – so, wie es schon ihre Ahnen getan hatten: zur selben Jahreszeit und vom selben Ort aus, von Amaliendorf. Den Wagen aber zogen zwei Rösser und nicht, wie damals, der Vater mit Hilfe des Hundes. So kamen sie viel weiter voran als ihre Vorfahren, deren alte Route und deren Lagerplätze sie in den ersten Wochen ihrer Reise gern benutzten.
    Der Vater saß am Kutschbock, Fridas Brüder neben ihm. Dahinter, im Wageninneren unter der Plane, Frida und ihre Großeltern, verkeilt zwischen Bergen von Fleckerlteppichen, Tüchern, Schürzen, Holzschuhen und allerlei anderer Handelsware, die sie im Winter hergestellt hatten. Ihr Hund, er hieß Gipry und war ein schwarz-weißer Spitz, lief hinterher. Wenn Gipry müde wurde, sprang er auf das breite Brett gleich neben dem Hühnerverschlag, den der Vater am hinteren Ende unter den Holzwagen genagelt hatte. Außergewöhnlich war, dass die Zahl der Hühner in diesem Verschlag im Laufe ihrer Reise nicht und nicht kleiner werden wollte. Und das, obwohl die Sippe allabendlich zumindest ein Huhn am Feuer briet. Für dieses Wunder war Gipry verantwortlich. Wenn ihre Wagenkolonne ein Dorf verließ, nachdem sie Markt gehalten hatten, ließ sich Gipry zurückfallen. Dann sahen sie ihn oft ein, zwei Stunden nicht. Denn dann ging Gipry seiner großen Leidenschaft nach: Hühner fangen. Wenn Gipry schließlich, mit seiner Beute im Maul, die Wagen wieder eingeholt hatte, überholte er sie und legte seine Trophäe, einer Straßensperre gleich, ein paar Meter vor den Rössern ab. Fridas Vater ließ darauf die Pferde anhalten, sprang vom Kutschbock, tätschelte Gipry lobend den Kopf und ließ das Huhn rasch im Wageninneren verschwinden. Wenn sie dann am Abend beim Lagerplatz von einem Gendarmen gefragt wurden, woher sie denn das Brathuhn hätten, antwortete Fridas Vater seelenruhig: »Herr Inspektor, schauen sie ruhig unter unseren Wagen in den Verschlag. Dann sehen sie, dass wir unsere eigenen Hühner mit uns führen.«
    »Wir Jenische stehlen nie«, sagte der Vater ernst, als die Gendarmen außer Hörweite waren. »Die Gadsche müssen nur aufpassen«, setzte er fort, und dann konnte er sich nicht mehr halten und auch alle Umsitzenden krümmten sich vor Lachen, weil sie wussten, was nun kommen würde, »die Gadsche müssen nur aufpassen, dass unserem Gipry kein saftiges Gani* über den Weg rennt.«
    »Was frei wächst und gedeiht, das ist für alle«, setzte dann der

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