Fuchserde
warf sie der Runde noch einen verächtlichen Blick zu und spuckte auf den abgetretenen Schiffbrettboden.
Von den Männern rührte sich nach wie vor keiner. Erst als etwa eine Minute vergangen war, sagte einer der Alten: »Wie wird das Mädel wohl sein, wenn sie erst einmal erwachsen ist.« Dann betrachtete er das noch immer im Holz steckende Jagdmesser zwei Tische neben ihm, sah mit hochgezogenen Augenbrauen dem leise vor sich hin heulenden Rothaarigen ins Gesicht, trank seinen letzten Schluck Bier aus und sagte: »Zahlen!«
Beim Lagerplatz angekommen, träufelte Frida sofort Arnikatinktur auf die klaffende Platzwunde ihres Bruders. Am nächsten Tag mischte sie ihm zur Stärkung Brennnesselmehl ins Essen und weil die Wunde doch hartnäckiger nachblutete, als sie gehofft hatte, schmierte sie halbfingerdick Pechsalbe darauf. Aber mindestens ebenso wie die Tinkturen und Heilkräuter ließen ihren Bruder die liebevollen, wenn auch geradlinigen und harschen Berührungen der kleinen Schwester wieder gesund werden.
Frida war stets der Mittelpunkt der Familie. Und das längst nicht mehr, weil sie die Jüngste war. Es schien, als würde sie in jeder Situation das Richtige tun, gleichgültig wie viel Wissen, Erfahrung oder Courage gefragt war. Schon mit vierzehn war sie, abgesehen vom Vater freilich, so etwas wie die Rädelsführerin. Und alle akzeptierten das anerkennend, weil sie darum keinerlei Aufhebens machte. Im Gegenteil, Frida stellte stets die Interessen der anderen voran und hielt sich, soweit das möglich war, im Hintergrund. In einer Angelegenheit hielt sie sich sogar derartig zurück, dass sie ihre Schwestern und Brüder anfangs neckisch, später besorgt fragten, ob denn alles in Ordnung sei mit ihr. Diese Angelegenheit betraf Männer. Während andere Mädchen, wie es üblich war, schon mit fünfzehn oder sechzehn fix vergeben waren, wollte Frida auch noch keinen anrühren, als sie bereits fünfundzwanzig war. »Macht euch keine Sorgen«, beruhigte sie ihre Geschwister vergnügt, »ich habe einfach noch nicht den Richtigen getroffen. Irgendwann kommt er schon, der Mann, der Wolf genug ist für mich. Und den schnapp ich mir dann.« Anfangs war die »Unantastbare« oder die »Heilige«, wie die Burschen in der Gegend sie nannten, das begehrteste Mädchen weit und breit. Nicht eigens deshalb, weil sie eine zierliche Figur und ein hübsches Gesicht hatte, auch nicht, weil ihr etwas verwildertes Äußeres auf die Männer anziehend wirkte. So besonders und außerordentlich interessant war Frida, weil sie die seltenste und daher wertvollste Trophäe weit und breit war, die härteste Nuss, die es zu knacken galt. Doch alle, wirklich alle, bissen sich im Laufe der Jahre die Zähne an ihr aus. Einem besonders hartnäckigen, der partout nicht von ihr lassen wollte, schlug Frida sogar zwei davon aus. Mit den Jahren bekamen die jungen Männer dann schließlich Respekt vor ihr. Einige hatten sogar Angst. Frida verschreckte sie mit ihrer allzu selbständigen Art. Und irgendwann einmal, da hatte sie die dreißig wohl schon überschritten, versiegte die Lust der Männer gänzlich. Frida galt als »unheilbarer Fall«, als »eiserne Jungfrau«. Die Männerwelt hatte sie aufgegeben. »Und überhaupt, wirklich taufrisch ist sie ja auch nicht mehr«, trösteten sich nun die ehemals Abgewiesenen. Kurzum: Die Motivation, Frida den Hof zu machen, war dahin. Die Sache schien erledigt.
Bis sich Frida eines Tages verliebte. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Es war in einem der wenigen Sommer, in dem sie nicht im Frühjahr mit ihrer Sippe auf Reise ging. Diesmal war es an ihr, auf jene Kinder ihrer Geschwister aufzupassen, die noch zu klein für die anstrengende Reise waren, und auf die Großmutter, die schon zu schwach war. Außerdem musste Frida das Haus hüten und die Hand voll Ziegen versorgen. In jenem heißen Sommer jedenfalls, der für Frida ausnahmsweise nicht nach Landstraße und Lagerfeuer roch, sondern nach Kinderkot, Altweiberurin und Ziegenmilch, in jenem Sommer verliebte sie sich.
Er hieß Lois und war zehn Jahre jünger als sie. Er war nicht allzu groß, trotz seines schlanken Körpers kräftig gebaut und hatte eine auffallend breite Stirn. Ein Mann, der neu in der Gegend war, der aus Gmünd stammte und der hierher zum Arbeiten im Steinbruch gekommen war. Er war der Richtige für sie. Und der Einzige, der in Frage kam. Er hatte all das, was alle anderen nicht gehabt hatten: das Herz am richtigen Fleck. Das erkannte
Weitere Kostenlose Bücher