Fuchserde
Großvater nickend ein, und jeder wusste, was nun folgen würde: »All das hat der Herrgott geschaffen und wachsen lassen, und nicht der Bauer. Und darum gehört es allen und man kann nicht von Diebstahl sprechen.«
An einem dieser typischen Abende war es, als sich die beiden Brüder Fridas gleich nach dem Essen davonmachten. Anders als die anderen verzichteten sie darauf, ihren Schlafplatz gleich neben dem Bach herzurichten. Sie bereiteten nicht wie üblich ihre Betten aus Fichtenästen und Stroh vor. Sie warteten auch nicht wie sonst mit Vorfreude darauf, bis die Großeltern alte Geschichten und Märchen am Feuer erzählten. Sie nahmen nur noch ein Stamperl Gebrannten. Fridas Vater erwartete keine Erklärung, als die beiden den abgelegenen Lagerplatz Richtung Dorf verließen. Er hatte sehr wohl mitbekommen, dass seine zwei Halbwüchsigen im Dorf Blicke zugeworfen bekommen hatten. Und als er sie hinterm Gestrüpp aus den Augen verlor, dachte er zurück an die Zeit, als er jung gewesen war. An die Zeit, als der warme Wind sein Blut hatte aufkochen lassen und er es gewesen war, nach dem die Mädchen verlangten.
In dieser Nacht träumte Frida schlecht. Sie träumte von ihren Brüdern. Sie gingen einen Weg entlang, an dessen Ende Bluthunde ihre Zähne fletschten. Ihre Brüder lachten, sie sprangen vor Glück in die Luft und sahen vor lauter Ausgelassenheit nicht die Bluthunde, die schon nach ihnen lechzten. Frida wollte ihren Brüdern zurufen, sie warnen vor den Bluthunden, doch ihr Mund war wie gelähmt und ihre Zunge furchtbar schwer. Ihre Brüder gingen weiter, immer näher auf die Bluthunde zu. Das gibt’s doch nicht, wieso sehen sie die Hunde nicht, träumte Frida. Sie mühte sich ab, ihren Brüdern nachzulaufen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht und ihre Brüder entfernten sich immer weiter. Da schnappte der erste Bluthund nach einem Bruder – und Frida wachte auf.
Ringsum war es stockdunkel und ruhig. Nur die Baumwipfel wogten bedächtig im Wind. Alle anderen schliefen. Frida überlegte nicht, ob sie aufspringen sollte, um nach ihren Brüdern im Dorf zu sehen. Es passierte mit ihr. Als sie bloßfüßig und nur mit einem schlichten, weißen Leinenkleid bedeckt die Landstraße entlangrannte, fühlte sie sich wie in Trance, fast so, als ob sie noch immer träumen würde. Müde aber war sie kein bisschen. Ihre Beine waren so flink und leicht, dass sie sich selbst darüber wunderte. Das rasche Laufen, mehrere Kilometer bis ins Dorf, bereitete ihr nicht die geringste Anstrengung. Als Frida die Kapelle erreicht hatte, überlegte sie nicht, welches der einander gegenüber liegenden Wirtshäuser sie wählen sollte. Sie ließ sich einfach treiben und riss die Tür auf. Der ältere ihrer Brüder lag am Boden, das Gesicht nach unten gewandt, neben ihm ein Aschenbecher, an dem Blut herunterrann. Der jüngere hockte bei ihm, redete auf ihn ein, versuchte ihm aufzuhelfen. Er bemerkte nicht, dass ein Messer auf ihn zuflog. Frida hatte den Burschen, der sein Jagdmesser auf den Kopf ihres Bruders gezielt hatte, im Augenwinkel gesehen: Ein rothaariger, blasser Junge, der wohl sympathische Gesichtszüge haben mochte, wenn er nicht so betrunken, aufgeheizt und in Rage war wie jetzt, dachte Frida, während sie ihrem Bruder mit der Fußsohle einen Tritt gab. Er kippte zur Seite, und das Jagdmesser fuhr hinter ihm in den Türpfosten. Im Türstock stand Frida. Sie sah nicht auf das Messer, ging nur weich in die Knie, griff wie selbstverständlich danach, zog es mit einem Ruck aus dem Holz und schritt ruhig auf den Rothaarigen zu. In der Stube rührte sich niemand. Die etwa zwanzig Burschen und Männer schienen wie gelähmt. Auch der Rothaarige rührte sich nicht vom Fleck. Als Frida direkt vor ihm stand, sah sie, wie er in seine Lippen biss. Sein Brustkorb hob und senkte sich stark und rasch. Er hatte Angst und sah das vierzehnjährige, bloßfüßige, zarte Mädchen im Leinenkleid an, als stünde ein Riese vor ihm. Frida holte aus und schlug ihm mit der linken Hand fest ins Gesicht, gleich darauf noch einmal mit dem Handrücken auf die andere Wange. Dann rammte sie das Jagdmesser tief in die Tischplatte vor ihm. Erst als der Bursche das Gesicht demütig zu Boden senkte, drehte sich Frida um. Sie schritt die paar Meter zu ihrem noch immer benommenen und blutenden Bruder, half ihm auf die Beine, hieß ihren anderen Bruder, den Verletzten von der anderen Seite zu stützen, und bevor sie die Wirtshaustür hinter sich zuknallte,
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