Fuchsjagd
Walkman
Madame Butterfly
an. Zadie war mit den Hunden zu ihrem Bus hinübergegangen, um die Tiere zu füttern, und eine ganze Schulklasse hätte die Absperrung durchbrechen können, ohne dass Bella es gemerkt hätte. »Un bel di vedremo«, jauchzte Madame Butterfly selig bei der Vorstellung, dass eines Tages Linkertons Schiff am Horizont erscheinen und ihr geliebter Ehemann den Hügel zu ihrem Haus heraufkommen würde, um sie zu sich zu holen. Leider war es nur ein Traum. Die Wahrheit hieß, wie die Butterfly nur zu bald erfahren würde, verlassen werden. Genau wie im richtigen Leben, dachte Bella. Da werden die Frauen auch immer verlassen.
Mit einem tiefen Seufzer hatte sie aufgeblickt und Wolfie neben sich stehen gesehen, zitternd vor Kälte in seinem dünnen Pulli und den Jeans. »Ach, Scheiße«, sagte sie energisch und zog sich die Ohrstöpsel heraus, »du frierst dich noch zu Tode, du dummer kleiner Kerl. Komm. Schlüpf unter meinen Mantel. Du bist ein komischer Kauz, Wolfie. Wieso schleichst du dauernd so rum, hm? Das ist doch nicht normal. Wieso hast du immer Angst aufzufallen?«
Er ließ sich unter ihren dicken Militärmantel ziehen und drängte sich an ihren mächtigen, weichen Körper. Es war das schönste Gefühl, das er je erlebt hatte. Wärme. Geborgenheit. Weichheit. Bei Bella fühlte er sich so sicher, wie er sich bei seiner Mutter nie gefühlt hatte. Er gab ihr Küsse auf Hals und Wangen und legte seine Arme auf ihren Busen.
Sie schob ihm einen Finger unter das Kinn und hob sein Gesicht zum Mondlicht. »Bist du wirklich erst zehn?«, fragte sie in neckendem Ton.
»Glaub schon«, sagte er schläfrig.
»Wieso bist du nicht im Bett?«
»Ich komm nich in den Bus rein. Fox hat abgesperrt.«
»Herrgott noch mal!«, knurrte sie verdrossen. »Und wo ist er hin?«
»Weiß nich.« Er wies zur Shenstead Farm. »Er ist in die Richtung durch den Wald gegangen. Wahrscheinlich wird er abgeholt.«
»Von wem?«
»Weiß nich. Er ruft an, und dann holt ihn jemand ab. Früher, wie meine Mam noch da war, bin ich ihm oft nachgeschlichen. Aber jetzt nich mehr.«
Bella hob ihn unter dem voluminösen Mantel auf ihren Schoß und legte ihr Kinn auf seinen Scheitel. »Soll ich dir mal was sagen, Schätzchen, mir gefällt das hier alles nicht besonders. Ich würd gleich morgen mit meinen Mädchen abhauen – aber ich mach mir Sorgen um dich. Wenn ich wüsste, was dein Vater vorhat…« Eine kleine Weile schwieg sie nachdenklich. »Soll ich dich nicht morgen zur Polizei fahren, dann kannst du ihnen sagen, dass du deine Mam suchst. Sie werden dich vielleicht eine Zeit lang in Pflege geben – aber dann bist du wenigstens von Fox weg und kommst am Ende wieder zu deiner Mam und deinem kleinen Bruder. Na, was meinst du?«
Wolfie schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Ich hab Angst vor der Polizei.«
»Warum denn?«
»Die schauen nach, ob einer blaue Flecken hat, und wenn sie welche finden, nehmen sie einen mit.«
»Und werden sie bei dir welche finden?«, fragte sie.
»Glaub schon. Dann kommt man in die Hölle.«
Sein magerer kleiner Körper zitterte, und Bella fragte sich aufgebracht, wer ihm diesen Unsinn erzählt hatte. »Aber wieso sollst du in die Hölle kommen, wenn du blaue Flecken hast, Schätzchen. Das ist doch nicht deine Schuld. Das ist die Schuld von Fox.«
»Aber es ist nicht erlaubt«, erklärte er ihr. »Der Doktor wird richtig böse, wenn er bei einem Kind blaue Flecken findet. Da ist es besser, man geht gar nich erst hin.«
Du lieber Gott! Was für ein kranker Mensch, der einem Kind solche Gemeinheiten erzählte! Bella zog Wolfie fester an sich. »Glaub mir, Schätzchen, du brauchst keine Angst zu haben. Bevor die Ärzte und die Polizisten böse werden, muss einer schon was ganz Schlimmes getan haben, und du hast nichts Schlimmes getan.«
»Aber du«, sagte Wolfie, der in seinem Versteck unter den Decken Bellas Anruf belauscht hatte. »Du hättest Fox nich sagen sollen, wo Nancy ist. Sie hat doch das Seil nur runtergemacht, weil sie mit dir und den anderen Freund sein wollte.« Er sah Bella ins runde Gesicht. »Glaubst du, er schneidet sie jetzt mit dem Rasiermesser?«, fragte er bedrückt.
»Bestimmt nicht, Schätzchen«, antwortete sie tröstlich und schob ihr Kinn wieder auf seinen Scheitel. »Ich hab ihm erzählt, sie wäre zum Manöver bei Salisbury. Da hat's vor drei Tagen von Soldaten nur so gewimmelt – Vorbereitung für Afghanistan, vermute ich –, da kann er lang suchen.«
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