Fuchsjagd
Richter glaubte dieser Aussage. Er akzeptierte auch den Befund, dass die Blutflecken auf den Terrassenplatten zwei Meter von der Toten entfernt von einem Tier stammten und nicht von einem Menschen. Mit den Spekulationen, die den Tod von Ailsa Lockyer-Fox begleitet hatten, machte er mit den Worten kurzen Prozess: »Die Gerüchte in diesem Fall waren absolut unbegründet. Ich hoffe, das heutige Urteil wird ihnen ein für alle Mal ein Ende bereiten. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, Mrs. Lockyer-Fox beschloss in einer kalten Nacht, allzu leicht bekleidet ins Freie zu gehen, und erlitt einen Kollaps, der tragischerweise zu ihrem Tod führte.«
Ailsa Lockyer-Fox, Tochter eines wohlhabenden schottischen Großgrundbesitzers, war bekannt für ihren Einsatz zum Wohl der Tiere. »Ihr Tod ist ein großer Verlust für uns«, sagte ein Sprecher der League Against Cruel Sports in Dorset. »Sie war der Überzeugung, dass jedes Leben wertvoll ist und geachtet werden sollte.« Sie war auch eine großzügige Wohltäterin von Kinderheimen und von Stiftungen zu Gunsten von Kindern. Ihr Privatvermögen, das auf 1,2 Millionen Pfund geschätzt wird, fällt an ihren Ehemann.
Debbie Fowler
Kosovo, Dienstag, 6. November 2001
Sehr geehrter Colonel Lockyer-Fox,
Ihr Brief wurde mir von meiner Mutter nachgeschickt. Auch mich haben Fabeln immer interessiert. Die Vorlage für Ihre Fabel ist »Der Löwe, der Fuchs und der Esel«, deren Moral man mit den Worten zusammenfassen könnte: »Macht schafft Recht«. Eine ähnliche Moral ließe sich aus Ihrer Version der Geschichte ziehen: »Die Macht vieler schafft Recht.« Denn wenn ich recht verstehe, wollen Sie den Nachlass Ihrer Frau zerstückeln, um ihn an Empfänger zu verteilen, die seiner würdiger sind als Ihr Sohn – vermutlich Einrichtungen zum Wohl von Kindern und Tieren. Ich finde das sehr vernünftig, besonders wenn er an ihrem Tod schuld ist. Ich glaube nicht daran, dass der Mensch sich ändert, und stehe daher der Hoffnung, dass er »sich bessern« wird, skeptisch gegenüber.
Mir ist nach der Lektüre des Zeitungsausschnitts über den Spruch des Untersuchungsrichters nicht ganz klar, wer nun eigentlich Gegenstand der Spekulationen nach dem Tod Ihrer Frau war, aber ich nehme an, dass Sie es waren. Jedoch wenn ich Ihre Fabel richtig gelesen habe, ist Ihr Sohn Leo der Löwe, Ihre Frau Ailsa war die Eselin, und Sie sind der Fuchs, der Zeuge ihrer Ermordung wurde. Wenn das so ist, warum haben Sie das dann nicht der Polizei mitgeteilt, anstatt den Spekulationen freien Raum zu lassen? Oder ist das wieder so ein Fall, wo »Familienfehler« unter den Teppich gefegt wurden? Sie scheinen der Auffassung zu sein, dass der Tod Ihrer Frau am besten gesühnt wird, indem Sie Ihrem Sohn sein Erbe verweigern, aber geschieht wahre Gerechtigkeit nicht durch die Gerichte? Ganz gleich, was für emotionale Probleme Ihr Sohn hat, sie werden sich nicht dadurch bessern, dass Sie ihm einen Mord durchgehen lassen.
Genau das scheinen Sie mir mit dem letzten Satz Ihrer Fabel zu sagen. »Der Löwe fraß den Fuchs und nahm sich alles, was diesem gehört hatte.« Es handelt sich hierbei offensichtlich nicht um eine Tatsache, sondern um eine Vorhersage, sonst hätten Sie mir ja nicht schreiben können. Aber es würde mich doch sehr interessieren, wie ausgerechnet meine Anerkennung als Ihre Enkelin die Erfüllung dieser Vorhersage verhindern soll? Ich fürchte nämlich, sie wird genau das Gegenteil bewirken und Ihren Sohn zu überstürztem Handeln treiben. In Anbetracht der Tatsache, dass ich keinerlei Interesse an Ihrem Geld oder dem Ihrer verstorbenen Frau habe – und überhaupt kein Verlangen, mich deswegen mit Ihrem Sohn zu streiten –, denke ich, es wäre weitaus klüger, Sie ließen sich von Ihrem Anwalt Mark Ankerton darüber beraten, wie Sie Ihrem Sohn das Geld am besten entziehen können.
Ich möchte Ihnen gewiss nicht zu nahe treten, aber ich sehe weder einen Grund dafür, warum Sie sich »fressen« lassen sollten, ohne sich zu wehren, noch warum ich als Strohmann fungieren sollte.
Mit freundlichen Grüßen
Nancy Smith (Captain, Royal Engineers)
Shenstead Manor, Shenstead, Dorset
30. November 2001
Liebe Nancy,
bitte vergessen Sie die ganze Angelegenheit. Alles, was Sie vorbringen, ist völlig gerechtfertigt. Ich habe in einem Moment tiefer Niedergeschlagenheit geschrieben und mich unverzeihlich pathetisch ausgedrückt. Keinesfalls wollte ich bei Ihnen den Eindruck hervorrufen, dass es
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